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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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Bezirk, der Dampfkessel der Revolution: die Arbeiter brauchten nur die Alexanderbrücke oder, wenn diese auseinandergenommen, das Eis der Newa zu passieren, um in die Gardekasernen oder in das Taurische Palais zu gelangen. So schloß sich dieses verschiedenartige und seiner Abstammung nach gegensätzliche nordöstliche Dreieck Petersburgs: Garde, Potemkin-Palais und die Riesenbetriebe fest zu einem Heerlager der Revolution zusammen.
    In den Räumen des Taurischen Palais werden verschiedene Zentren geschaffen oder in Aussicht genommen, darunter auch der Generalstab des Aufstandes. Man kann nicht sagen, daß dieser einen sehr ernsten Charakter trug. Die "revolutionären" Offiziere, das heißt Offiziere, die in ihrer Vergangenheit durch irgend etwas, und sei es auch durch ein Mißverständnis, mit der Revolution verbunden gewesen waren, den Aufstand jedoch wohlbehalten verschlafen hatten, suchen nach seinem Sieg sich eiligst in Erinnerung zu bringen oder stellen sich, aufgefordert, "in den Dienst der Revolution". Tiefsinnig betrachten sie die Lage und schütteln pessimistisch die Köpfe. Diese aufgeregten, oft unbewaffneten Soldatenmassen seien ja nicht kampffähig. Es gäbe weder Artillerie, noch Maschinengewehre, noch Verbindungen, noch Kommandeure. Dem Feinde würde ein fester Truppenteil genügen! Im Augenblick behindern die revolutionären Haufen allerdings jede planmäßige Operation in den Straßen. In der Nacht aber entfernen sich die Arbeiter, die Einwohner verstummen, die Stadt wird leer. Greift Chabalow dann mit einem festen Truppenteil die Kasernen an, kann er sich als Herr der Lage erweisen. Nebenbei gesagt taucht dieser Gedanke später in verschiedenen Variationen in allen Etappen der Revolution auf. "Gebt mir ein sicheres Regiment", wird ein flinker Oberst in seinem Winkel sagen, "und ich fege im Nu diesen ganzen Unrat weg." Einige, wie wir noch sehen werden, machten auch den Versuch. Aber alle werden die Worte Chabalows wiederholen müssen: "Die Abteilung ist ausgerückt mit mutigen Offizieren, aber ... ergebnislos."
    Woher auch sollten die Ergebnisse kommen? Die unerschütterlichsten aller Abteilungen waren die Polizisten, die Gendarmen und zum Teil noch die Lehrkommandos einiger Regimenter. Sie erwiesen sich aber als kläglich vor dem Ansturm wahrhafter Volksmassen, wie sich acht Monate später, im Oktober, die Bataillone des Georgjewski-Regiments und die Junkerschulen als ohnmächtig erweisen werden. Wo sollte die Monarchie die rettende Truppe hernehmen, die bereit und fähig gewesen wäre zu einem langwierigen und hoffnungslosen Zweikampfe mit der Zweimillionenstadt? Die Revolution erscheint dem in Worten unternehmungslustigen Obersten schutzlos, weil sie noch schrecklich chaotisch ist: überall planlose Bewegungen, sich kreuzende Ströme, Menschenstrudel, erstaunte, gleichsam jäh betäubte Gestalten, zerknüllte Uniformen, gestikulierende Studenten, Soldaten ohne Gewehre, Gewehre ohne Soldaten, in die Luft schießende Jugendliche, tausendstimmiger Lärm, Fluten wildester Gerüchte, grundlose Ängste, grundlose Freuden; es braucht sich, scheint es, nur ein einziger Säbel über diesem Chaos zu erheben, und alles wird restlos auseinanderstieben. Das aber ist ein großer Sehfehler. Das Chaos ist nur scheinbar. Darunter vollzieht sich unaufhaltsam eine Kristallisierung der Massen um neue Achsen. Die ungezählten Mengen sind sich noch selbst nicht ganz im klaren, wie sie wollen, dafür aber sind sie von brennendem Haß gegen das erfüllt, was sie nicht länger wollen. Hinter ihrem Rücken ist ein nie wieder ungeschehen zu machender Einsturz erfolgt. Ein Zurück gibt es nicht. Auch wenn eine Macht vorhanden wäre, sie auseinanderzutreiben, sie wären in einer Stunde wieder beisammen, und der zweite Ansturm würde wütender und blutiger geworden sein. Seit den Februartagen ist die Atmosphäre in Petrograd so glühend heiß, daß jeder feindliche Truppenteil, der in diesen gewaltigen Herd gerät oder sich ihm auch nur nähert, von seinem Atem versengt wird, - sich verwandelt, die Sicherheit verliert, sich paralysiert fühlt und sich den Siegern kampflos auf Gnade oder Ungnade ergibt. Davon wird sich morgen General Iwanow überzeugen, den der Zar mit einem Bataillon Georgierkavallerie von der Front gesandt hat. Nach fünf Monaten wird das gleiche Schicksal General Kornilow ereilen. Nach acht Monaten - Kerenski.
    In den vorangegangenen Tagen scheinen in den Straßen die Kosaken die nachgiebigsten zu sein;

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