Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution
das kam daher, daß sie am meisten herumgezerrt wurden. Als es aber zum offenen Aufstand kam, rechtfertigte die Reiterei noch einmal ihre konservative Reputation, indem sie hinter der Infanterie zurückblieb. Am 27. bewahrte sie noch den Schein abwartender Neutralität. Wenn auch Chabalow nicht mehr auf sie hoffte, die Revolution war vor ihr noch immer auf der Hut.
Ein Rätsel blieb einstweilen noch die Peter-Paul-Festung auf der von der Newa umspülten Insel gegenüber dem Winterpalais und den Schlössern der Großfürsten. Hinter den Mauern war - oder schien - die Garnison der Festung gegen Einflüsse der äußeren Welt am meisten geschützt. Eine ständige Artillerie gab es in der Festung nicht, wenn man von der altertümlichen Kanone absieht, die täglich den Petrogradern die Mittagsstunde verkündete. Heute aber sind auf den Mauern, gegen die Brücke gerichtet, Feldgeschütze aufgestellt. Was bereitet sich dort vor? Im Taurischen Stab zerbricht man sich nachts darüber den Kopf, was man mit der Peter-Paul-Festung beginnen solle, während man sich in der Festung mit der Frage abquält; was die Revolution mit ihr vorhabe. Am Morgen wird sich das Rätsel lösen. "Unter der Bedingung der Unantastbarkeit des Offiziersbestandes" wird die Festung dem Taurischen Palais übergeben. Nachdem sie sich über die Lage klargeworden waren, was nicht gar so schwer war, beeilten sich die Festungsoffiziere, dem unvermeidlichen Gang der Ereignisse zuvorzukommen.
Gegen Abend des 27. ziehen Soldaten, Arbeiter, Studenten und Bürger zum Taurischen Palais. Hier hofft man die zu finden, die alles wissen, hier glaubt man Neues erfahren zu können, Direktiven zu erhalten. Ins Palais werden haufenweise von allen Seiten Waffen zusammengetragen und in einem Raum aufgestapelt, der sich in ein Arsenal verwandelt. In der Nacht hat unterdessen der revolutionäre Stab im Taurischen Palais sich ans Werk gemacht. Er sendet Kommandos aus zur Bewachung der Bahnhöfe und Patrouillen in alle Richtungen, aus denen eventuell Gefahr drohen könnte. Willig und widerspruchslos, wenn auch in völliger Unordnung, erfüllen die Soldaten die Befehle der neuen Macht. Sie fordern aber jedesmal eine schriftliche Order: die Initiative stammt wohl von den Überresten des Kommandobestandes oder von den Militärschreibern. Aber sie haben recht: man muß unverzüglich Ordnung in das Chaos bringen. Der revolutionäre Stab wie der eben entstandene Sowjet besitzen noch keinerlei Stempel. Der Revolution steht erst bevor, die bürokratische Wirtschaft einzuführen. Im Laufe der Zeit wird sie es tun, leider bis zum Überfluß.
Die Revolution beginnt nach den Feinden zu suchen. In der Stadt werden Verhaftungen vorgenommen; "eigenmächtig", werden die Liberalen vorwurfsvoll sagen. Aber die ganze Revolution ist eigenmächtig. Ins Taurische Palais werden unaufhörlich Gefangene eingeliefert: der Vorsitzende des Staatsrates, Minister, Schutzleute, Ochranaagenten, eine "germanophile" Gräfin, Gendarmerieoffiziere haufenweise. Einige Würdenträger, wie Protopopow, kommen von selbst, um sich verhaften zu lassen: das ist sicherer. "Die Wände des Saales, die einst von Ruhmeshymnen auf den Absolutismus ertönten, vernahmen heute nur Seufzer und Weinen", wird später die freigelassene Gräfin erzählen. "Nebenan läßt sich ein gefangener General kraftlos in einen Stuhl sinken. Einige Dumamitglieder bieten mir liebenswürdig eine Tasse Tee an. Der tief in seiner Seele erschütterte General sagt erregt: "Gräfin, wir sind Zeugen des Unterganges eines großen Landes!""
Das große Land, das gar nicht daran dachte, unterzugehen, schritt, mit den Stiefeln stampfend, mit den Kolben polternd, die Luft mit Rufen erschütternd und auf manchen Fuß tretend, an den Menschen von gestern vorbei. Revolutionen pflegten sich stets durch Unhöflichkeit auszuzeichnen: wohl deshalb, weil die herrschenden Klassen sich nicht rechtzeitig die Mühe gaben, das Volk an gute Manieren zu gewöhnen.
Das Taurische Palais wird vorübergehend Hauptquartier, Regierungszentrum, Arsenal und Gefängnisverlies der Revolution, die noch nicht Schweiß und Blut von ihrem Antlitz abgewischt hat. Hier, in diesen Strudel, schleichen sich auch die unternehmungslustigen Feinde ein. Zufällig wird ein verkleideter Gendarmerieoberst entdeckt, der in der Ecke seine
Aufzeichnungen macht - nicht etwa für die Geschichte, sondern für die Feldgerichte. Soldaten und Arbeiter wollen gleich auf der Stelle mit ihm Schluß machen.
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