Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution
vollzogen war. In Twer begaben sich die Arbeiter aus den Betrieben in Demonstrationszügen zu den Kasernen und marschierten, zusammen mit den Soldaten, durch die Straßen der Stadt. Damals sang man noch die Marseillaise und nicht die Internationale. In Nischni-Nowgorod versammelten sich Tausende von Menschen beim Gebäude der Stadtduma, das in den meisten Städten die Rolle des Taurischen Palais spielte. Nach der Rede des Bürgermeisters setzten sich die Arbeiter mit roten Fahnen in Bewegung, die Politischen aus den Gefängnissen zu befreien. Von einundzwanzig Truppenteilen der Garnison gingen schon bis zum Abend achtzehn freiwillig zur Revolution über. In Samara und Saratow fanden Meetings statt, wurden Sowjets der Arbeiterdeputierten gebildet. In Charkow richtete sich der Polizeimeister, der Zeit gefunden hatte, am Bahnhof über den Umsturz Erkundigungen einzuziehen, in seinem Wagen vor der erregten Menge hoch und schrie aus voller Lunge, die Mütze in der Luft schwenkend: "Es lebe die Revolution, hurra!" Jekaterinoslaw erhielt die Kunde aus Charkow. An der Spitze der Manifestation schritt der Gehilfe des Polizeimeisters, den langen Säbel mit der Hand stützend, wie es bei Paraden an Zarentagen üblich gewesen. Als es endgültig klar war, daß die Monarchie sich nicht mehr erheben werde, begann man in den Regierungsämtern in aller Stille die Zarenporträts herunterzunehmen und auf dem Boden zu verstecken. Solche Anekdoten, wahre und erfundene, gab es nicht wenig in den liberalen Kreisen, die noch den Geschmack an dem scherzhaften Ton in bezug auf die Revolution nicht verloren hatten. Die Arbeiter wie die Soldatengarnisonen erlebten die Ereignisse auf ganz andere Art.
Von einer Reihe anderer Provinzstädte (Pskow, Orel, Rybinsk, Pensa, Kasan, Zarizyn usw.) vermerkt die Chronik unter dem 2. März: "Man erfuhr von dem vollzogenen Umsturz, und die Bevölkerung schloß sich der Revolution an." Dieser Bericht gibt, trotz seines summarischen Charakters, das Geschehene im wesentlichen richtig wieder.
In das Dorf flossen die Nachrichten über die Revolution aus den nächsten Städten teils durch die Behörden, hauptsächlich durch die Märkte, die Arbeiter und die Urlauber. Das Dorf nahm den Umsturz langsamer und weniger enthusiastisch auf als die Stadt, aber nicht minder tief: es verband ihn mit Krieg und Land.
Es wäre keine Übertreibung, zu sagen, daß Petrograd die Februarrevolution vollbrachte. Das übrige Land schloß sich ihm an. Nirgends außer in Petrograd gab es Kampf. Im ganzen Lande fanden sich keine Bevölkerungskreise, Parteien, Institutionen oder Truppenteile, die es gewagt hätten, zum Schutze des alten Regimes aufzustehen. Das beweist, wie unbegründet das spätere Gerede der Reaktionäre war, wonach das Schicksal der Monarchie sich anders gestaltet hätte, wenn die Gardekavallerie in Petrograd gewesen wäre oder wenn Iwanow eine zuverlässige Brigade von der Front gebracht hätte. Weder im Hinterlande noch an der Front war eine Brigade oder ein Regiment bereit, sich für Nikolaus II. zu schlagen.
Der Umsturz vollzog sich auf Initiative und durch die Kraft einer Stadt, die etwa ein Fünfundsiebzigstel der gesamten Bevölkerung Rußlands umfaßte. Wenn man will, kann man sagen, der größte demokratische Akt vollzog sich auf die undemokratischste Weise. Das ganze Land war vor eine vollendete Tatsache gestellt. Der Umstand, daß man in der Perspektive mit der konstituierenden Versammlung rechnete, ändert daran nichts, denn die Fristen und die Art der Einberufung der Nationalvertretung wurden von Organen bestimmt, die aus dem siegreichen Petrograder Aufstand hervorgegangen waren. Das wirft ein grelles Licht auf die Frage der Funktion demokratischer Formen im allgemeinen und während revolutionärer Epochen im besonderen. Dem juristischen Fetischismus des Volkswillens haben Revolutionen stets schwere Schläge zugefügt, und zwar um so erbarmungsloser, je tiefer, kühner, demokratischer diese Revolutionen waren.
Es ist oft genug davon gesprochen worden, besonders in bezug auf die Große Französische Revolution, daß die äußerste Zentralisierung der Monarchie später der revolutionären Hauptstadt gestartete, für das ganze Land zu denken und zu handeln. Diese Erklärung ist oberflächlich. Wenn die Revolution zentralistische Tendenzen aufweist, so nicht als Nachahmung der gestürzten Monarchie, sondern infolge der unausweichlichen Bedürfnisse der neuen Gesellschaft, die sich mit Partikularismus
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