Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
Kosakenkreisen, aus der Mitte der Offiziere und bürgerlichen Politiker mehr als einmal die persönliche Diktatur angetragen hatte. "Aber das fiel auf unfruchtbaren Boden" ... Kerenskis Position war jedenfalls derart, daß die Führer der Konterrevolution die Möglichkeit hatten, ohne etwas zu riskieren, mit ihm Meinungen über einen Staatsstreich auszutauschen. "Die ersten Gespräche über das Thema Diktatur in Form von behutsamen Sondierungen des Bodens" begannen, nach Denikins Worten, Anfang Juni, das heißt während der Vorbereitung der Offensive an der Front. An diesen Gesprächen beteiligte sich nicht selten auch Kerenski, wobei es sich in solchen Fällen von selbst verstand, insbesondere für Kerenski, daß gerade er im Zentrum der Diktatur stehen werde. Suchanow sagt über Kerenski treffend: "Er war Kornilowianer - nur unter der Bedingung, daß an der Spitze der Kornilowiade er selbst stände." In den Tagen des Zusammenbruchs der Offensive hatte Kerenski Kornilow und anderen Generalen viel mehr versprochen, als er zu halten vermochte. "Bei seinen Frontreisen", erzählt General Lukomski, "pflegte Kerenski Mut zu fassen und mit seinen Begleitern wiederholt die Fragen der
Schaffung einer festen Macht, der Bildung eines Direktoriums oder der Machtübertragung an einen Diktator zu diskutieren." Seinem Charakter entsprechend brachte Kerenski in diese Unterhaltungen ein Element von Formlosigkeit, Unordentlichkeit, Dilettantismus hinein. Die Generale hingegen neigten zu stabsmäßiger Formvollendung.
Die zwanglose Teilnahme Kerenskis an den Unterhaltungen der Generale legalisierte sozusagen die Idee der Militärdiktatur, der man aus Vorsicht gegen die noch nicht erwürgte Revolution am häufigsten den Namen Direktorium verlieh. In welchem Maße hier historische Reminiszenzen an Frankreichs Regierung nach dem Thermidor eine Rolle spielten, ist schwer zu sagen. Aber neben der reinen Wortmaskierung bot das Direktorium für den Anfang die unbestreitbare Bequemlichkeit, daß es die Koordinierung persönlicher Ehrgeize erlaubte. Im Direktorium sollte sich nicht nur Platz für Kerenski und Kornilow, sondern auch für Sawinkow, sogar für Filonenko finden: überhaupt für Menschen von "eisernem Willen", wie sich die Direktoriumskandidaten selbst ausdrückten. Jeder von ihnen hätschelte im stillen den Gedanken, von der Kollektivdiktatur später zur persönlichen Diktatur übergehen zu können.
Für das Verschwörergeschäft mit dem Hauptquartier hatte Kerenski folglich keinerlei schroffe Wendung nötig, es g3-nügte, das einmal Begonnene zu entwickeln und fortzusetzen. Er glaubte dabei, er werde der Verschwörung der Generale die nötige Richtung geben können, indem er sie nicht nur auf die Bolschewiki, sondern in gewissen Grenzen auch auf die Köpfe der eigenen Verbündeten und lästigen Vormünder aus der Mitte der Versöhnler sausen lassen würde. Kerenski manövrierte so, daß er, ohne die Verschwörer restlos zu entlarven, sie gehörig schrecken und in seine Absichten einbeziehen konnte. Er ging dabei bis hart an jene Grenze, hinter der das Regierungshaupt sich bereits in einen illegalen Konspirator verwandelt. "Kerenski bedurfte eines energischen Druckes von rechts, seitens der kapitalistischen Cliquen, alliierten Gesandtschaften und besonders des Hauptquartiers", schrieb Trotzki Anfang September, "damit ihm geholfen werde, sich restlos die Hände frei zu machen. Kerenski wollte die Meuterei der Generale zur Festigung seiner Diktatur ausnutzen."
Einen Wendepunkt bildete die Staatsberatung. Nachdem er aus Moskau neben der Illusion der unbeschränkten Möglichkeiten das erniedrigende Gefühl persönlicher Niederlage mitgenommen hatte, entschloß sich Kerenski, endlich alle Zweifel beiseitezuschieben und sich ihnen in ganzer Größe zu zeigen. Welchen "ihnen"? Allen. In erster Linie den Bol-schewiki, die unter die prächtige nationale Inszenierung die Mine des Generalstreiks gelegt hatten. Damit gleichzeitig ein für allemal die Rechten treffend, alle jene Gutschkow und Miljukow, die ihn nicht ernst nehmen. Schließlich auch "ihnen" gründlich Angst einjagen, den Versöhnlerschulmeistern von der Art des verhaßten Zeretelli, der ihn, den Auserwählten der Nation, sogar in der Staatsberatung zu korrigieren und zu belehren gewagt hat. Kerenski beschloß fest und endgültig, der ganzen Welt zu zeigen, daß er gar kein "Hysteriker", kein "Harlekin", keine "Ballerina" sei, wie immer offener ihn die Garde- und
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