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Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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den äußersten Heldenmut der lettischen Schützen hinzuweisen, deren Reste trotz völliger Erschöpfung wieder in den Kampf eingesetzt wurden" ... Noch gehobener klang der Bericht des Armeekomiteevorsitzenden, des Menschewiken Kutschin: "Die Stimmung der Soldaten ist bewundernswert. Nach dem Zeugnis von Komiteemitgliedern und Offizieren ist die Standhaftigkeit so groß wie nie zuvor." Ein anderer Vertreter der gleichen Armee berichtete einige Tage später in der Bürositzung des Exekutivkomitees: "In der Tiefe der Durchbruchslinie befand sich nur eine lettische Brigade, die fast durchweg aus Bolschewiki bestand ... Als sie den Befehl erhielt, vorwärtszugehen, rückte [die Brigade] mit roten Bannern und Musikorchester vor und schlug sich außerordentlich tapfer." Im gleichen Sinne, wenn auch zurückhaltender, schrieb später Stankewitsch: "Sogar im Armeestab, wo Personen saßen, die mit Vorbedacht eine Möglichkeit suchten, die Schuld auf die Soldaten abzuwälzen, konnte man mir keinen einzigen konkreten Fall von Nichterfüllung irgendeines Befehls, geschweige denn eines Kampfbefehls, nennen." Bei der Mondsuner Operation bewiesen die Landungskommandos der Seeleute, wie aus offiziellen Dokumenten hervorgeht, bedeutende Standhaftigkeit.
    Für die Stimmung der Truppen, besonders der lettischen Schützen und baltischen Seeleute, war die Tatsache keineswegs gleichgültig, daß es diesmal unmittelbar um die Verteidigung zweier Revolutionszentren ging: Riga und Petrograd. Die fortgeschritteneren Truppenteile waren inzwischen von jener bolschewistischen Idee erfüllt, daß "das Bajonett in die Erde stecken" noch nicht bedeute, die Kriegsfrage lösen; daß der Kampf um den Frieden vom Kampf um die Macht unzertrennbar sei, das heißt von einer neuen Revolution.
    Wenn auch einzelne Kommissare, durch den Ansturm der Generale verängstigt, die Standhaftigkeit der Armee übertrieben, so bleibt immerhin die Tatsache bestehen, daß Soldaten und Matrosen die Befehle erfüllten und starben. Mehr konnten sie nicht tun. Doch eine Verteidigung im wahren Sinne des Wortes hat trotzdem nicht stattgefunden. So unwahrscheinlich es ist, die 12. Armee wurde völlig überrascht. Es fehlte an allem: an Menschen, Geschützen, Munition, Gasmasken. Der Nachrichtendienst funktionierte unter jeder Kritik. Attacken mußten verschoben werden, weil man für die russischen Gewehre Patronen japanischen Musters geliefert hatte. Dabei handelte es sich nicht um einen zufälligen Frontabschnitt. Die Bedeutung des Verlustes von Riga war kein Geheimnis für das Oberkommando. Wie aber läßt sich der außerordentlich klägliche Zustand der Verteidigungskräfte und -mittel der 12. Armee erklären? "... Die Bolschewiki", schreibt Stankewitsch, "verbreiteten bereits Gerüchte, wonach die Stadt den Deutschen absichtlich übergeben worden sei, da der Oberbefehl dieses Nest und diese Brutstätte des Bolschewismus loswerden wollte. Diese Gerüchte mußten Glauben finden in der Armee, die wußte, daß es eigentlich weder Verteidigung noch Widerstand gegeben hatte." Tatsächlich hatten sich bereits im Dezember 1916 die Generale Russki und Brussilow darüber beklagt, Riga sei das "Unglück der Nordfront", ein "durchpropagiertes Nest", gegen das man nicht anders als mit Erschießungen ankämpfen könne. Die Rigaer Arbeiter und Soldaten in die Lehre der deutschen Armeeokkupation zu geben, mußte der geheime Traum vieler Generale der Nordfront sein. Selbstverständlich nahm niemand an, der Höchstkommandierende hätte Rigas Preisgabe befohlen. Doch alle Kommandeure hatten Kornilows Rede gelesen und das Interview seines Stabschefs Lukomski. Das ersetzte vollauf einen Befehl. Der Oberkommandierende der Nordfront, General Klem-bowski, gehörte zur engeren Verschwörerclique und erwartete mithin die Übergabe Rigas als das Signal zu rettenden Aktionen. Auch unter normaleren Verhältnissen hatten die russischen Generale Übergaben und Rückzüge bevorzugt. Jetzt, wo von ihnen die Verantwortung von vornherein durch das Hauptquartier abgenommen worden war und das politische Interesse sie auf den Weg des Defätismus stieß, unternahmen sie nicht einmal den Versuch einer Verteidigung. Ob der eine oder andere General passiver Sabotage der Verteidigung noch aktive Schädlingsarbeit hinzufügte, ist eine Frage zweiter Ordnung, ihrem Wesen nach schwer zu entscheiden. Es wäre jedoch naiv, anzunehmen, die Generale hätten sich gescheut, nach Kräften dem Schicksal in allen Fällen

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