Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
die Säuberung der Armee. "Fast jede Division", schreibt Stankewitsch, "hatte ihren Bolschewik, mit einem Namen, der bei der Armee bekannter war als der Name des Divisionschefs ... Allmählich entfernten wir eine Berühmtheit nach der anderen." Gleichzeitig wurden an der ganzen Front Entwaffnungen ungehorsamer Truppenteile vorgenommen. Kommandeure und Kommissare stützten sich dabei auf Kosaken und die den Soldaten verhaßten Sonderkommandos.
An dem Tage, als Riga fiel, beschloß eine Konferenz von Kommissaren der Nordfront und Vertretern von Armeeorganisationen die Notwendigkeit einer systematischeren Anwendung strenger Repressalien. Es kamen Fälle von Erschießungen vor wegen Verbrüderung mit den Deutschen. Viele Kommissare, erhitzt durch wirre Bilder aus der Französischen Revolution, versuchten die eiserne Hand zu zeigen. Sie begriffen nicht, daß die jakobinischen Kommissare sich auf die unteren Schichten stützten, Aristokraten und Bourgeois nicht schonten und daß nur die Autorität der plebejischen Unnachsichtigkeit ihnen das Anpflanzen strenger Disziplin in der Armee erlaubte. Kerenskis Kommissare hatten keine Volksstütze unter sich, keine sittliche Aureole über ihrem Haupt. Sie waren in den Augen der Soldaten Agenten der Bourgeoisie, Antreiber der Entente und nichts mehr. Sie vermochten für eine Weile die Armee einzuschüchtern dies gelang ihnen bis zu einem gewissen Grade tatsächlich -, doch sie zu neuem Leben zu erwecken, waren sie zu ohnmächtig.
Im Büro des Exekutivkomitees in Petrograd berichtete man Anfang August, daß in der Stimmung der Armee eine günstige Wendung eingetreten sei. Exerzierübungen fänden statt; andererseits aber sei das Steigen der Rechtlosigkeit, der Willkür, des Druckes zu beobachten. Besondere Schärfe gewann die Offiziersfrage: "Sie sind völlig isoliert und bilden eigene, abgeschlossene Organisationen." Auch andere Angaben bestätigen, daß äußerlich an der Front größere Ordnung eingetreten war, die Soldaten hatten aufgehört, kleinlicher und zufälliger Anlässe wegen zu meutern. Aber um so konzentrierter wurde ihre Unzufriedenheit mit der Gesamtlage. Aus der vorsichtigen und diplomatischen Rede des Menschewiken Kutschin in der Staatsberatung klang hinter beruhigenden Noten besorgte Warnung. "Zweifellos ist eine Wendung, zweifellos eine Beruhigung vorhanden, aber, Bürger, vorhanden ist auch etwas anderes, vorhanden ist das Gefühl irgendeiner Enttäuschung, und dieses Gefühl macht uns ebenfalls außerordentliche Sorge ..." Der vorübergehende Sieg über die Bolschewiki war vor allem ein Sieg über die neuen Hoffnungen der Soldaten, über ihren Glauben an eine bessere Zukunft. Die Massen wurden vorsichtiger, die Disziplin nahm gleichsam zu. Aber zwischen den Regierenden und den Soldaten vertiefte sich der Abgrund. Wen und was wird er morgen verschlingen?
Die Julireaktion zieht gewissermaßen den endgültigen Trennungsstrich zwischen Februar- und Oktoberrevolution. Arbeiter, Hinterlandgarnisonen, Front und teilweise sogar, wie sich später zeigen wird, Bauern wichen aus, prallten zurück, wie von einem Schlag auf die Brust getroffen. Der Schlag hatte in Wirklichkeit mehr einen psychischen als einen physischen Charakter, doch machte das ihn nicht weniger wirksam. In den ersten vier Monaten hatten alle Massenprozesse nur die eine Richtung gehabt: nach links. Der Bolschewismus wuchs, erstarkte, wurde kühner. Nun aber stieß die Bewegung auf eine Schwelle. Tatsächlich zeigte sich, daß die Wege der Februarrevolution nicht weiterführten. Vielen schien es, die Revolution habe sich überhaupt erschöpft. In Wirklichkeit hatte sich nur die Februarrevolution bis zur Neige erschöpft. Diese innere Krise des Massenbewußtseins in Verbindung mit Repression und Verleumdung führte zu Verwirrung und Rückzügen, manchmal panischer Art. Die Gegner wurden kühner. In den Massen selbst kam alles
Rückständige, Träge, mit den Erschütterungen und Entbehrungen Unzufriedene nach oben. Diese rückflutenden Wellen im Strome der Revolution zeigen unüberwindliche Kraft: es scheint, als unterstehen sie Gesetzen sozialer Hydrodynamik. Eine solche Gegenwelle mit der Brust zu überwinden ist unmöglich, - es bleibt nur übrig, ihr standzuhalten, sich nicht wegspülen zu lassen, standzuhalten, bis die Reaktionswelle sich erschöpft hat, und gleichzeitig Stützpunkte für eine neue Offensive vorzubereiten.
Betrachtete man die einzelnen Regimenter, die am 3. Juli unter
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