Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
Versöhnlerorganisationen zerfallen. Die Reden der Delegierten auf der bolschewistischen Konferenz des Moskauer Distrikts, einen Monat nach dem Kor-nilowschen Aufstand, einen Monat vor dem Aufstand der Bolschewiki, atmen Zuversicht und Mut. In Nischnij-Nowgorod erwacht die Partei nach zwei Monaten Niedergeschlagenheit wieder zu vollem Leben. Sozialrevolutionäre Arbeiter gehen zu Hunderten in die Reihen der Bolschewiki über. In Twer entwickelt sich eine ausgedehnte Parteiarbeit erst nach den Kornilowtagen. Die Versöhnler fallen durch, man hört nicht auf sie, jagt sie davon. Im Gouvernement Wladimir hat sich die Lage der Bolschewiki derart gefestigt, daß auf dem Gouvernementskongreß der Sowjets nur fünf Menschewiki zu entdecken sind und drei Sozialrevolutionäre. In Iwanowo-Wosnessensk, dem russischen Manchester, fällt die gesamte Arbeit in Sowjet, Duma und Semstwo den Bolschewiki als den alleinigen Herren zu.
Es wachsen die Organisationen der Partei, doch unermeßlich rascher wächst deren Anziehungskraft. Das Mißverhältnis zwischen den technischen Hilfsquellen der Bolschewiki und ihrem politischen spezifischen Gewicht findet seinen Ausdruck in der verhältnismäßig geringen Zahl der Parteimitglieder bei gewaltiger Zunahme des Parteieinflusses. Die Ereignisse ziehen so schnell und gebieterisch die Massen in ihren Strudel herein, daß den Arbeitern und Soldaten nicht Zeit bleibt, sich in einer Partei zu organisieren. Es fehlt ihnen sogar die Zeit, um die Notwendigkeit einer besonderen Parteiorganisation zu begreifen. Sie nehmen die bolschewistischen Parolen ebenso naturnotwendig in sich auf, wie sie Luft einatmen. Daß die Partei ein kompliziertes Laboratorium ist, wo die Parolen durch Kollektiverfahrung ausgearbeitet werden, ist ihnen noch unklar. Hinter den Sowjets stehen mehr als zwanzig Millionen Menschen. Die Partei, die sogar am Vorabend der Oktoberumwälzung in ihren Reihen nicht mehr als 240.000 Mitglieder zählt, führt durch Gewerkschaften, Fabrikkomitees und Sowjets immer sicherer Millionen hinter sich.
In dem bis auf den Grund erschütterten unermeßlichen Lande mit einer unerschöpflichen Mannigfaltigkeit lokaler Bedingungen und politischer Niveaus finden tagtäglich irgendwelche Wahlen statt: zu Dumas, Semstwos, Sowjets, Gewerkschaften, Fabrik-, Armee- oder Landkomitees. Und durch alle diese Wahlen zieht sich wie ein roter Faden die eine unabänderliche Tatsache: das Anwachsen der Bolschewiki. Die Wahlen zu den Moskauer Bezirksdumas haben durch den schroffen Wechsel der Stimmung in den Massen das Land besonders verblüfft. Die "große" Partei der Sozialrevolutionäre behielt von den 375.000, die sie im Juni aufwies, Ende September nur 54.000. Die Menschewiki sanken von
76.000 auf 16.000. Die Kadetten behielten 101.000, sie verloren nur etwa 8.000. Dagegen stiegen die Bolschewiki von
75.000 auf 198.000. Hatten die Sozialrevolutionäre im Juni etwa 58 Prozent der Stimmen gesammelt, so vereinigten im September die Bolschewiki 52 Prozent auf sich. Die Garnison stimmte zu 90 Prozent, in einigen Truppenteilen zu mehr als 95 Prozent für Bolschewiki: in den Werkstätten der schweren Artillerie erhielten die Bolschewiki von 2.347 Stimmen 2.286. Die große Zahl der Nichtwähler entfiel hauptsächlich auf jenes kleinere Stadtvolk, das sich im Taumel der ersten Illusionen den Versöhnlern angeschlossen hatte, um bald wieder ins Nichts zurückzukehren. Die Menschewiki schmolzen völlig zusammen. Die Sozialrevolutionäre erhielten halb soviel Stimmen wie die Kadetten, die Kadetten - halb soviel wie die Bolschewiki. Die Septemberstimmen der Bolschewiki waren erobert in erbittertem Kampfe gegen alle anderen Parteien. Das waren zuverlässige Stimmen. Auf sie konnte man bauen. Das Wegspülen der Zwischengruppen, die beträchtliche Widerstandsfähigkeit des bürgerlichen Lagers und das gigantische Anwachsen der verhaßten und verfolgten proletarischen Partei - all das waren untrügliche Symptome einer revolutionären Krise. "Ja, die Bolschewiki arbeiteten emsig und beharrlich", schreibt Suchanow, der selbst zur geschlagenen Partei der Menschewiki gehörte, "sie waren bei den Massen, an den Werkbänken, täglich, ständig ... sie gehörten zu ihnen, weil sie stets da waren - in Kleinigkeiten wie im Wichtigsten das Leben der Betriebe und der Kaserne leitend ... Die Masse lebte und atmete gemeinsam mit den Bolschewiki. Sie war in den Händen der Partei von Lenin und Trotzki."
Die politische Karte
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