Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
Flügel zu recken. "Die Vergeltung läßt nicht auf sich warten", schrieb Trotzki Mitte August. "Gejagt, verfolgt, verleumdet, ist unsere Partei niemals so schnell gewachsen wie in der letzten Zeit. Und dieser Prozeß wird nicht versäumen, von der Hauptstadt auf die Provinz überzugreifen, von den Städten auf das Land und die Armee ... Alle werktätigen Massen des Landes werden lernen, in neuen Prüfungen ihr Schicksal mit dem Schicksal unserer Partei zu verknüpfen."
Petrograd schritt in alter Weise voran. Es schien, ein allmächtiger Besen arbeite in den Betrieben, den Einfluß der Versöhnler aus allen Ecken und Winkeln auskehrend. "Es stürzen die letzten Festen der Landesverteidiger ein ...", berichtete die bolschewistische Zeitung. "Wie lang ist es her, daß die Herren Landesverteidiger im Obuchower Riesenbetrieb uneingeschränkt herrschten? ... jetzt dürfen sie sich dort nicht sehen lassen." Bei den Wahlen zur Petrograder Stadtduma am 20. August wurden etwa 550.000 Stimmen abgegeben, bedeutend weniger als bei den Juliwahlen zu den Bezirksdumas. Obwohl sie 375.000 Stimmen verloren, brachten es die Sozialrevolutionäre immer noch auf über zweihunderttausend Stimmen oder auf 37 Prozent der Gesamtzahl Auf die Kadetten entfiel ein Fünftel. "Klägliche 23.000 Stimmen", schreibt Suchanow, "brachte unsere menschewistische Liste auf" Überraschend für alle erhielten die Bol-schewiki fast zweihunderttausend Stimmen, etwa ein Drittel der Gesamtzahl.
Die Distriktkonferenz der Uralgewerkschaften, die Mitte August stattfand und 150.000 Arbeiter repräsentierte, nahm zu allen Fragen Beschlüsse bolschewistischen Charakters an. In Kiew wurde auf der Konferenz der Fabrikkomitees vom 20. August die Resolution der Bolschewiki mit einer Mehrheit von 161 gegen 35 Stimmen angenommen, bei 13 Stimmenthaltungen. Bei den demokratischen Wahlen zu der Iwanowo-Wosnessensker Stadtduma, gerade im Augenblick des Kornilow-Aufstandes, erhielten die Bolschewiki achtundfünfzig von 102 Sitzen, Sozialrevolutionäre - 24, Menschewiki - 4. In Kronstadt wird der Bolschewik Brekmann zum Vorsitzenden des Sowjets gewählt, zum Oberbürgermeister der Bolschewik Pokrowski. Bei weitem nicht überall so kraß, manchen Orts nachhinkend, wächst der Bolschewismus während des August fast im ganzen Lande.
Kornilows Aufstand gibt der Radikalisierung der Massen einen mächtigen Antrieb. Slutzki erinnerte bei diesem Anlasse an Marxens Worte: die Revolution hat es mitunter nötig, daß die Konterrevolution sie anpeitscht. Die Gefahr weckte nicht nur die Energie, sondern auch die Einsicht. Der Kollektivgedanke arbeitete unter Hochspannung. An Material für Schlußfolgerungen fehlte es nicht. Die Koalition hatte man als notwendig zur Verteidigung der Revolution erklärt, ein Koalitionspartner indes stand auf seiten der Konterrevolution. Die Moskauer Beratung war als Heerschau der nationalen Einheit proklamiert worden. Nur das Zentralkomitee der Bolschewiki hatte gewarnt: "Die Beratung ... wird sich unabwendbar in ein Verschwörungsorgan der Konterrevolution verwandeln." Die Ereignisse hatten die Nachprüfung erbracht. Nun erklärte auch Kerenski: "Die Moskauer Beratung ... das ist der Prolog zum 27. August ... Hier wurde die Kräfteberechnung vorgenommen ... Hier wurde Rußland erstmalig sein künftiger Diktator Kornilow vorgestellt ..." Als wäre nicht Kerenski Initiator, Organisator und Vorsitzender dieser Beratung gewesen, und als hätte nicht er Kornilow als den "ersten Soldaten der Revolution" vorgestellt. Als hätte nicht die Provisorische Regierung Kornilow mit der Todesstrafe gegen die Soldaten ausgerüstet. Und als wären nicht die Warnungen der Bolschewiki als Demagogie erklärt worden.
Die Petrograder Garnison erinnerte sich ferner, daß zwei Tage vor Kornilows Aufstand die Bolschewiki in der Sitzung der Soldatensektion den Verdacht ausgesprochen hatten, ob nicht die fortgeschrittenen Regimenter mit konterrevolutionären Absichten aus der Hauptstadt entfernt würden? Das hatten die Vertreter der Menschewiki und Sozialrevolutionäre mit der drohenden Forderung beantwortet: über Kriegsbefehle des Generals Kornilow nicht zu diskutieren, In diesem Geiste war eine Resolution angenommen worden. "Die Bolschewiki verlieren wohl keine Worte in den Wind!", das mußte sich jetzt der parteilose Arbeiter oder Soldat sagen.
Lag bei den Verschwörer-Generalen, nach der eigenen verspäteten Anklage der Versöhnler, nicht nur die Schuld an der Übergabe
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