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Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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Arbeitern und Soldaten eine ganz andere Sprache zu sprechen als im Exekutivkomitee und besonders im Winterpalais. Verantwortliche Führer der Sozialrevolutionäre und Menschewiki wagten es von Woche zu Woche immer weniger, auf offenem Platze zu erscheinen. Agitatoren zweiter und dritter Ordnung paßten sich mit Hilfe zweideutiger Redensarten dem sozialen Radikalismus des Volkes an oder aber wurden aufrichtig von den Stimmungen der Betriebe, Zechen und Kasernen angesteckt, sprachen deren Sprache und lösten sich von den eigenen Parteien los.
    Der Matrose Chowrin berichtet in seinen Erinnerungen, wie die Seeleute, die sich zu den Sozialrevolutionären zählten, in Wirklichkeit für die bolschewistische Plättform kämpften. Dies wurde überall und allerorts beobachtet. Das Volk wußte, was es wollte, wußte aber nicht, dies beim Namen zu nennen. Das der Februarrevolution innerlich anhaftende "Mißverständnis" hatte Massen- und Volkscharakter, besonders auf dem Lande, wo es länger anhielt als in der Stadt. Ordnung in das Chaos hineinzubringen, vermochte nur die Erfahrung. Ereignisse, große und kleine, durchrüttelten unermüdlich die Massenparteien und brachten ihren Bestand in Einklang mit ihrer Politik, nicht aber mit dem Aushängeschild.
    Ein bemerkenswertes Muster des qui pro quo zwischen den Versöhnlern und den Massen bietet ein Schwur, den Anfang Juli zweitausend Bergleute des Donezbeckens kniend mit entblößten Häuptern, in Anwesenheit und unter Teilnahme einer fünftausendköpfigen Menge, ablegten. "Wir schwören bei unseren Kindern, bei Gott, Himmel und Erde und allem Heiligen, was wir auf Erden haben, daß wir niemals die am 28. Februar blutig errungene Freiheit preisgeben werden; im Glauben an die Sozialrevolutionäre und Menschewiki schwören wir, niemals auf die Leninisten zu hören, weil sie, die Bolschewiki-Leninisten, durch ihre Agitation Rußland dem Untergang entgegenführen, während Sozialrevolutionäre und Menschewiki, vereint in einem Bunde, sagen: den Boden dem Volke, Boden ohne Ablösung, das kapitalistische Regime muß nach dem Kriege zusammenstürzen, und statt des Kapitalismus muß das sozialistische Regime sein ... Wir leisten den Schwur, diesen Parteien zu folgen, ohne vor dem Tode zurückzuschrecken." Der gegen die Bolschewiki gerichtete Schwur der Bergarbeiter führte in Wirklichkeit direkt zur bolschewistischen Umwälzung. Die Februarhülle und der Oktoberkern treten in dieser naiven und leidenschaftlichen Charte mit solcher Anschaulichkeit hervor, daß sie in ihrer Art das Problem der permanenten Revolution erschöpfen.
    Im September bereits kehrten die Donez-Bergleute, ohne sich oder ihrem Schwur untreu zu werden, den Versöhnlern den Rücken. Das gleiche machten auch die allerrückständigsten Abteilungen der Uraler Bergleute durch. Ein Mitglied des Exekutivkomitees, der Sozialrevolutionär Oschegow, Vertreter vom Ural, besuchte Anfang August seinen Ischews-ker Betrieb. "Ich war furchtbar erstaunt", schreibt er in seinem wehmütigen Bericht, "über die schroffen Veränderungen, die in meiner Abwesenheit stattgefunden hatten: Jene Parteiorganisation der Sozialrevolutionäre, die sowohl ihrer Zahl (achttausend Menschen) wie ihrer Tätigkeit nach dem gesamten Uraler Distrikt bekannt war ... erwies sich als zersetzt und bis auf fünfhundert Mann geschwächt, dank verantwortungsloser Agitatoren."
    Oschegows Bericht brachte dem Exekutivkomitee nichts Überraschendes: das gleiche Bild war auch in Petrograd zu beobachten. Wenn nach der Julizertrümmerung die Sozialrevolutionäre in den Betrieben vorübergehend sich erholt und hier und dort ihren Einfluß sogar verbreitert hatten, so wird ihr Hinschwinden in der Folge desto unaufhaltsamer. "Zwar hatte Kerenskis Regierung damals gesiegt" schrieb später der Sozialrevolutionär W. Sensinow, "die bolschewistischen Demonstranten wurden zerstreut, die Häupter der Bolschewiki verhaftet, aber das war ein Pyrrhussieg." Ganz richtig: Wie der König von Epirus bezahlten die Versöhnler ihren Sieg mit dem Preise ihrer Armee. "Konnten die Menschewiki und Sozialrevolutionäre vor dem 3.-5. Juli", schreibt der Petrograder Arbeiter Skorinko, "manchmal vor Arbeitern erscheinen, ohne ausgepfiffen zu werden, so besaßen sie jetzt diese Garantie nicht" ... Garantien blieben ihnen überhaupt nicht mehr.
    Die Partei der Sozialrevolutionäre verlor nicht nur ihren Einfluß, sondern veränderte auch ihren sozialen Bestand. Die revolutionären Arbeiter waren

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