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Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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Der Kulak wich aus solange er konnte, doch im letzten Augenblick spannte er, sich noch einmal am Hinterkopf kratzend, seine satten Gäule vor den eisenbeschlagenen Wagen und fuhr, seinen Anteil zu holen. Nicht selten erwies dieser sich als der Löwenanteil. "Ausgenutzt haben es hauptsächlich die wohlhabenden Bauern", erzählt der Pensaer Bauer Begi-schew, "die über Pferde und freie Kräfte verfügten." Fast dieselben Worte gebraucht auch der Orlower Bauer Sawtschenko: "Ausgenutzt haben es in der Hauptsache die Kulaken, die satt waren und Fuhrwerk hatten, den Wald abzufahren ... "
    Nach der Berechnung von Wermenitschew kamen auf 4.954 Agrarkonflikte mit Gutsbesitzern während FebruarOktober nur 324 Konflikte mit der bäuerlichen Bourgeoisie. Ein auffallend krasses Zahlenverhältnis! Es stellt unbestreitbar fest, daß die Bauernbewegung von 1917 in ihrem sozialen Kern nicht gegen den Kapitalismus gerichtet war, sondern gegen die Überbleibsel der Leibeigenschaft. Der Kampf gegen das Kulakentum entwickelt sich erst später, im Jahre 1918, nach der endgültigen Liquidierung der Gutsbesitzer.
    Der rein demokratische Charakter der Bauernbewegung, der, wie es scheinen könnte, der offiziellen Demokratie unerschütterliche Macht verliehen haben sollte, offenbarte am vollständigsten deren ganze Fäulnis. Von oben gesehen, standen überall an der Spitze der Bauernschaft Sozialrevolutionäre, die Bauernschaft wählte sie, ging mit ihnen, verschmolz beinahe mit ihnen. Auf dem Maikongreß der Bauernsowjets bekam Tschernow bei den Wahlen zum Exekutivkomitee 810 Stimmen, Kerenski 804, während Lenin es alles in allem auf 20 Stimmen brachte. Nicht umsonst nannte sich Tschernow Bauernminister! Doch nicht umsonst auch trennte sich die Strategie der Bauern bald schroff von Tschernows Strategie.
    Die wirtschaftliche Zersplitterung macht die Bauern, die so entschlossen im Kampf gegen den konkreten Gutsbesitzer sind, ohnmächtig gegenüber dem verallgemeinerten Gutsbesitzer, dem Staate. Daher das organische Bedürfnis des Mu-schiks, sich an den Märchenstaat gegen den realen zu klammern. In alten Zeiten schuf er sich falsche Zaren, schloß sich zusammen um den "goldenen Zarenschutzbrief" oder um die Legende von der "gerechten Erde". Nach der Februarrevolution vereinigte er sich um das sozialrevolutionäre Banner "Land und Freiheit" und suchte bei ihm Hilfe gegen den liberalen, jetzt Kommissar gewordenen Gutsbesitzer. Das Narodnikiprogramm verhielt sich zur realen Kerenskiregierung wie der falsche Zarenschutzbrief zum realen Selbstherrscher.
    Das Programm der Sozialrevolutionäre hatte stets viel Utopisches enthalten: sie wollten den Sozialismus auf der Basis der kleinen Warenwirtschaft errichten. Doch die Grundlage ihres Programms war demokratisch-revolutionär: Enteignung des Bodens der Gutsbesitzer. Vor die Notwendigkeit gestellt, das Programm zu erfüllen, verstrickte sieh die Partei in Koalitionen. Gegen eine Bodenkonfiskation erhoben sich unversöhnlich nicht nur die Gutsbesitzer, sondern auch die kadettischen Bankiers: im Bodenbesitz waren nicht weniger als vier Milliarden Rubel der Banken investiert. Da sie planten, in der Konstituierenden Versammlung mit den Gutsbesitzern um den Preis zwar zu handeln, aber friedlich abzuschließen, waren die Sozialrevolutionäre eifrigst bemüht, den Muschik nicht an den Boden heranzulassen. Sie scheiterten somit nicht an dem utopischen Charakter ihres Sozialismus, sondern an ihrer demokratischen Unzulänglichkeit. Die Nachprüfung ihres Utopismus hätte Jahre erfordert. Ihr Verrat am Agrardemokratismus offenbarte sich im Laufe weniger Monate: unter einer Regierung der Sozialrevolutionäre mußten die Bauern den Weg des Aufstandes beschreiten, um das Programm der Sozialrevolutionäre zu verwirklichen.
    Im Juli, als die Regierung gegen das Dorf mit Repressalien losschlug, beeilten sieh die Bauern in der ersten Hitze, Dek-kung zu suchen bei denselben Sozialrevolutionären: bei Pontius dem Jüngeren suchten sie Schutz vor Pilatus dem Älteren. Der Monat der größten Schwächung der Bolschewiki in der Stadt wird der Monat der größten Expansion der Sozialrevolutionäre im Dorfe. Wie es in der Regel zu sein pflegt, besonders in revolutionären Epochen, fiel das Maximum der organisatorischen Erfassung mit dem Beginn politischen Niedergangs zusammen. Während sie bei den Sozialrevolutionären Schutz suchten vor den Schlägen der sozialrevolutionären Regierung, verloren die Bauern immer mehr das

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