Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
Sprechern. An begierigen Zuhörern fehlte es nicht. "Unter der Bauernschaft um Moskau", erzählt einer der Moskauer Bolschewiki, Muralow, "vollzog sich ein gewaltiger Ruck nach links ... In den um Moskau gelegenen Dörfern und Marktflecken wimmelte es von Frontdeserteuren; auch der großstädtische Proletarier, der seine Beziehungen zum Dorfe noch nicht zerrissen hatte, ließ sich dort sehen." Das schlummernde Kalugaer Dorf erzählt der Bauer Naumtschenkow, "weckten die Soldaten, die in der Periode Juni-Juli aus verschiedenen Gründen von der Front kamen". Der Nischegoroder Kommissar meldete, "alle Rechtsbeugungen und Ungesetzlichkeiten im Gouvernement stehen im Zusammenhang mit dem Auftauchen von Deserteuren, Urlaubern oder Delegierten der Regimentskomitees". Der obere Gutsverwalter der Fürstin Barjatinski, im Kreise Solotonosch, klagt im August über Eigenmächtigkeit des Landkomitees mit dem Kronstädter Matrosen Gatran als Vorsitzenden. "Die auf Urlaub kommenden Soldaten und Matrosen", meldet der Kommissar des Bugulminsker Kreises, "treiben Agitation mit der Absicht, Anarchie und P> gromstimmung herbeizuführen." - "Im Dorfe Belogosch, Kreis Mglin, untersagte der eingetroffene Matrose eigenmächtig das Bearbeiten und Abfahren von Holz und Schwellen aus dem Walde." Wenn auch nicht die Soldaten den Kampf begannen, so führten sie ihn zu Ende. Im Nischegoroder Kreis bedrängten die Bauern das Frauenkloster, mähten Wiesen ab, rissen Zäune nieder, behelligten die Nonnen. Die Vorsteherin trat energisch auf, Milizionäre führten die Bauern zur Exekution ab. "So ging es", schreibt der Bauer Arbekow, "bis zur Ankunft der Soldaten. Die Frontler faßten sofort den Stier bei den Hörnern": das Kloster wurde geräumt. "Im Gouvernement Mohilew", erzählt der Bauer Bobkow, "waren die von der Front heimgekehrten Soldaten die ersten Anführer in den Komitees und leiteten die Vertreibung der Gutsbesitzer."
Die Frontler brachten in die Sache die wuchtige Entschlossenheit von Leuten hinein, die gewohnt sind, mit Flinte und Bajonett gegen Menschen vorzugehen. Selbst die Soldatenfrauen übernahmen von den Männern die kriegerische Stimmung. "Im September", erzählt der Pensaer Bauer Begischew, "gab es eine starke Bewegung unter den Soldatenfrauen, in den Dorfversammlungen traten sie für Plünderungen ein." Dasselbe wurde in anderen Gouvernements beobachtet. Die Soldatenfrauen waren auch in den Städten nicht selten das Gärungselement.
Fälle, wo an der Spitze von Bauernunruhen Soldaten standen, gab es nach Wermenitschews Zählung im März ein Prozent, im April acht, im September dreizehn, im Oktober siebzehn Prozent. Diese Statistik kann keinen Anspruch auf Genauigkeit erheben, zeigt aber lückenlos die Gesamttendenz. Die abwiegelnde Führung der sozialrevolutionären Lehrer, Gemeindeschreiber und Beamten wurde durch die Führung der vor nichts zurückschreckenden Soldaten abgelöst. Der einstmals hervorragende deutsche marxistische Schriftstel1er Parvus, der es im Kriege verstand, Reichtümer zu erwerben und Prinzipien und Scharfsinn zu verlieren, verglich die russischen Soldaten mit mittelalterlichen Landsknechten, Plünderern, Räubern. Um dies zu behaupten, mußte man blind sein für die Tatsache, da die russischen Soldaten bei alt ihren Exzessen lediglich ausübendes Organ der in der Geschichte größten Agrarrevolution waren.
Solange die Bewegung noch nicht endgültig mit der Legalität gebrochen hatte, trug die Entsendung von Truppen aufs Land mehr symbolischen Charakter. Zur Unterdrückung der Bewegung konnte man in Wirklichkeit fast nur Kosaken verwenden. "Nach dem Serdober Kreis sind vierhundert Kosaken entsandt ... Diese Maßregel wirkte beruhigend. Die Bauern erklären, sie würden die Konstituierende Versammlung abwarten", schreibt am 11. Oktober das liberale Russ-koje Slowo. Vierhundert Kosaken - zweifellos ein Argument für die Konstituierende Versammlung! Aber die Zahl der Kosaken reichte nicht hin, überdies werden auch sie schwankend. Inzwischen sah sich die Regierung immer häufiger gezwungen, zu "entschiedenen Maßnahmen" zu greifen. In den ersten vier Monaten zählt Wermenitschew siebzehn Fälle von Truppenentsendung gegen Bauern; Juli und August neununddreißig, September und Oktober 105 Fälle.
Gegen dir Bauern mit Waffengewalt vorzugehen, hieß, den Brand mit Öl löschen. In den meisten Fällen gingen die Soldaten auf die Seite der Bauern über. Der Kreiskommissar des Podoler Gouvernements meldet:
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