Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
Winterpalais zu verbleiben, sondern plane in alter Weise die Konstituierende Versammlung ins Taurische Palais einzuberufen. An der militärischen und politischen Situation änderte diese Erklärung nichts. Aber sie enthüllte wieder die politische Macht Petrograds, das als seine Mission betrachtete, mit der Kerenski-Regierung Schluß zu machen, und deshalb diese mehr aus seinen Mauern hinausließ. Die Residenz nach Moskau zu verlegen, haben später nur die Bolschewiki gewagt. Sie konnten diese Aufgabe ohne alle Schwierigkeiten durchführen, weil für sie dies tatsächlich eine strategische Aufgabe war: politische Gründe, aus Petrograd zu fliehen, hatten sie nicht.
Die reumütige Erklärung betreffs Verteidigung der Hauptstadt gab die Regierung auf Verlangen der Versöhnlermehrheit vor einer Kommission des Rates der russischen Republik, des Vorparlaments, ab. Diese wunderliche Institution war inzwischen endlich zur Welt gekommen. Plechanow, der zu scherzen liebte und auch zu scherzen verstand, nannte den ohnmächtigen und kurzlebigen Rat der Republik unhöflich "ein Häuschen auf Hühnerfüßchen". Politisch ist diese Bezeichnung nicht ohne treffende Schärfe. Man muß nur hinzufügen, daß in der Eigenschaft eines Häuschens das Vorparlament nicht übel aussah: es war ihm das prächtige Mariinski-Palais zugewiesen, das früher den Staatsrat beherbergt hatte. Der Kontrast zwischen dem schmucken Palais und dem vernachlässigten, von Soldatengerüchen erfüllten Smolny verblüffte Suchanow: "Inmitten all dieser Pracht", gesteht er, "überkam einen die Lust, auszuruhen, Mühen und Kampf Hunger und Krieg, Zerfall und Anarchie, das Land wie die Revolution zu vergessen." Doch zum Ausruhen und Vergessen war die Zeit zu knapp bemessen:
Die sogenannte "demokratische" Mehrheit des Vorparlaments bestand aus 308 Menschen: einhundertundzwanzig Sozialrevolutionären, darunter etwa zwanzig linken; sechzig Menschewiki verschiedener Schattierungen; sechsundsechzig Bolschewiki; ferner Genossenschaftlern, Delegierten des Bauern-Exekutivkomitees, und so weiter. Die besitzenden Klassen hatten 156 Plätze inne, von denen fast die Hälfte den Kadetten gehörte. Zusammen mit den Genossenschaftlern, Kosaken und den reichlich konservativen Mitgliedern des Bauern-Exekutivkomitees bildete der rechte Flügel in einer Reihe von Fragen nahezu die Mehrheit. Die Verteilung der Plätze im komfortablen Häuschen auf Hühnerfüßchen stand somit in schreiendem Widerspruch zu allen Willensäußerungen von Stadt und Land. Dafür beherbergte das Ma-riinski-Palais im Gegensatz zu den grauen Sowjets und ähnlichen Vertretungen in seinen Mauern die "Blüte der Nation". Da die Mitglieder des Vorparlaments von Zufälligkeiten der Wahlkonkurrenz, lokalen Einflüssen, provinziellen Bevorzugungen unabhängig waren, entsandte jede soziale Gruppe und jede Partei dorthin ihre angesehensten Führer. Die personelle Zusammensetzung war nach Suchanows Zeugnis "exklusiv glänzend". Als das Vorparlament sich zu seiner ersten Sitzung versammelte, fiel, nach Miljukows Worten, vielen Skeptikern ein Stein vom Herzen: "Gut, wenn die Konstituierende Versammlung nicht schlimmer sein wird als diese." Die "Blüte der Nation" betrachtete sich mit Genugtuung in den Spiegeln des Schlosses, ohne gewahr zu werden, daß sie eine taube Blüte war.
Bei Eröffnung des Rats der Republik am 7. Oktober versäumte Kerenski nicht, daran zu erinnern, daß die Regierung zwar über die "ganze Fülle der Macht" verfüge, aber nichtsdestoweniger bereit sei, "alle wahrhaft wertvollen Hinweise" anzuhören: wenn auch eine absolute, blieb es doch eine aufgeklärte Regierung. In dem fünfgliedrigen Präsidium, unter Awksentjews Vorsitz, ist ein Platz den Bolschewiki zugedacht: er bleibt unbesetzt. Den Regisseuren der kläglichen und unheiteren Komödie war übel zumute. Das ganze Interesse der trübseligen Eröffnung an dem trübseligen regnerischen Tage war von vornherein auf das bevorstehende Auftreten der Bolschewiki konzentriert. In den Couloirs des Mariinski-Palais verbreitete sich, nach Suchanows Worten, das "sensationelle Gerücht: Trotzki hätte mit einer Mehrheit von zwei bis drei Stimmen gesiegt ... und die Bolschewiki würden bald das Vorparlament verlassen". In Wirklichkeit war der Entschluß, demonstrativ das Mariinski-Palais zu verlassen, am 5. in der Sitzung der bolschewistischen Fraktion mit allen Stimmen gegen eine gefaßt worden: so stark war die Verschiebung nach links seit den
Weitere Kostenlose Bücher