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Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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einfacher "Skandal" aufgefaßt. Die bürgerliche Presse versäumte die Gelegenheit nicht, die Regierung mit Berufung auf die Entschlossenheit der Bolschewiki anzupeitschen: die Herren Minister würden das Land aus der Anarchie nur dann hinausführen können, "wenn sie ebensoviel Entschlossenheit und Tatwillen besitzen werden, wie der Genosse Trotzki". Als hätte es sich um die Entschlossenheit und den Willen einzelner gehandelt und nicht um das historische Schicksal von Klassen. Und als hätte sich die Auslese der Menschen und Charaktere unabhängig von den historischen Aufgaben vollzogen. "Sie redeten und handelten", schrieb Miljukow anläßlich des Auszuges der Bolschewiki aus dem Vorparlament, "wie Menschen, die hinter sich eine Macht fühlen, die wissen, daß der morgige Tag ihnen hört."
    Der Verlust der Monsundinseln, die wachsende Bedrohung Petrograds, der Auszug der Bolschewiki aus dem Vorparlament auf die Straße zwangen die Versöhnler darüber nachzudenken, was weiter mit dem Krieg werden solle. Nach dreitägiger Überlegung, gemeinsam mit dem Kriegs- und dem Marineminister, mit Kommissaren und Delegierten von Armeeorganisationen, fand endlich das Zentral-Exekutivkomitee einen rettenden Entschluß: "Auf der Teilnahme von Vertretern der russischen Demokratie an der Pariser Alliiertenkonferenz bestehen." Nach neuen Mühen ernannte man zum Vertreter Skobeljew. Es wurde eine detaillierte Instruktion ausgearbeitet: Frieden ohne Annexionen und Kontributionen, Neutralisierung der Meerengen, auch des Suez- und des Panamakanals - der geographische Horizont der Versöhnler war weiter als der politische -, Abschaffung der Geheimdiplomatie, allmähliche Abrüstung. Das ZentralExekutivkomitee setzte auseinander, daß die Teilnahme seines Delegierten an den Pariser Beratungen "den Zweck verfolgt, einen Druck auf die Alliierten auszuüben". Ein Druck Skobeljews auf Frankreich, England und die Vereinigten Staaten! Die Kadettenzeitung stellte die giftige Frage: Was wird Skobeljew tun, wenn die Alliierten seine Bedingungen ungeniert ablehnen? "Wird er mit einem neuen Aufruf an die Völker der Erde drohen?" Ach, die Versöhnler schämten sich schon längst ihres eigenen alten Aufrufs.
    Während es plante, den Vereinigten Staaten die Neutralisierung des Panamakanals aufzuzwingen, erwies sich das Zen-tral-Exekutivkomitee in Wirklichkeit unfähig, einen Druck auch nur auf das Winterpalais auszuüben. Am 12. schickte Kerenski einen umfangreichen Brief an Lloyd George voll zärtlicher Vorwürfe, bitterer Klagen und heißer Versprechungen. Die Front befände sich "in besserem Zustande als im vorigen Frühling". Gewiß, die defätistische Propaganda - der russische Premier beklagt sich bei dem britischen über die russischen Bolschewiki - habe gehindert, alle gestellten Ziele durchzusetzen. Von Frieden jedoch könne nicht die Rede sein. Die Regierung kenne nur die eine Frage: "Wie den Krieg fortsetzen?" Begreiflicherweise bat Kerenski unter Verpfändung seines Patriotismus um Kredite.
    Das von Bolschewiki befreite Vorparlament war ebenfalls nicht müßig: am 10. begannen die Debatten über Hebung der Kampffähigkeit der Armee. Der Dialog, der drei qualvolle Sitzungen beanspruchte, entwickelte sich nach dem unabänderlichen Schema: "man muß die Armee überzeugen, daß sie für Frieden und Demokratie kämpft", sagte man links. Überzeugen ist unmöglich, man muß sie zwingen, erwiderte man rechts. Zwangsmittel sind nicht vorhanden: um zwingen zu können, muß man anfangs, wenn auch nur teilweise, überzeugen, antworteten die Versöhnler. Im Überzeugen sind die Bolschewiken euch überlegen, erwiderten die Kadetten. Beide Seiten hatten recht. Aber auch der Ertrinkende hat recht, wenn er vor dem Versinken schreit.
    Am 18. kam die Entscheidungsstunde, die an der Natur der Dinge nichts ändern konnte. Die Formel der Sozialrevolutionäre erhielt 95 gegen 127 Stimmen bei 50 Stimmenthaltungen. Die Formel der Rechten - 135 gegen 139Stimmen. Erstaunlich, es gibt keine Mehrheit! Im Saal herrscht, nach den Zeitungsberichten, "allgemeine Bewegung und Verlegenheit". Trotz der Einheitlichkeit des Zieles war die Blüte der Nation nicht fähig, auch nur einen platonischen Beschluß zu fassen über die akuteste Frage des nationalen Lebens. Das war kein Zufall: dasselbe wiederholte sich tagein, tagaus bei allen übrigen Fragen in Kommissionen wie im Plenum. Die Meinungssplitter ließen sich nicht summieren. Sämtliche Gruppen lebten von ungreifbaren

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