Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
jede große, auch die realistischste Volksbewegung begleiten, war die Illusion des Sowjet-"Parlamentarismus" aus der Gesamtheit der Bedingungen heraus die ungefährlichste. Die Sowjets kämpften in Wirklichkeit um die Macht, stützten sich immer mehr auf die Militärgewalt, wurden zu lokalen Machtorganen, eroberten kämpfend ihren eigenen Kongreß. Für konstitutionelle Illusionen blieb nicht gar so viel Platz übrig, und auch er wurde im Prozeß des Kampfes weggeschwemmt.
Indem sie die revolutionären Bemühungen der Arbeiter und Soldaten des ganzen Landes koordinierte, ihnen Zieleinheit und Zeiteinheit verlieh, verdeckte die Losung des Sowjetkongresses durch ständige Appellation an die legale Vertretung der Arbeiter, Soldaten und Bauern gleichzeitig die halbkonspirative, halboffene Vorbereitung des Aufstandes. Indem er die Kräftesammlung für die Umwälzung erleichterte, mußte der Sowjetkongreß dann deren Resultate sanktionieren und eine neue, für das Volk unbestrittene Macht aufrichten.
Kapitel 18: Das militärische Revolutionskomitee
Trotz dem Ende Juli begonnenen Umschwung herrschten in der erneuerten Petrograder Garnison während des August noch immer Sozialrevolutionäre und Menschewiki. Einzelne Truppenteile blieben infiziert von scharfem Mißtrauen gegen die Bolschewiki. Das Proletariat besaß keine Waffen: in den Händen der Roten Garde waren nur einige tausend Gewehre verblieben. Ein Aufstand hätte unter solchen Umständen mit einer schweren Niederlage enden können, obwohl die Massen wieder den Bolschewiki zuströmten.
Die Lage veränderte sich dauernd im Laufe des September. Nach dem Aufruhr der Generale verloren die Versöhnler rapid die Stütze in der Garnison. Mißtrauen gegen die Bolschewiki wich der Sympathie, schlimmstenfalls abwartender Neutralität. Doch die Sympathie war nicht aktiv. Die Garnison blieb politisch sehr locker und auf Muschikenart argwöhnisch: ob nicht auch die Bolschewiki betrügen? Ob sie tatsächlich Frieden und Brot geben werden? Für diese Ziele unter dem Banner der Bolschewiki zu kämpfen - war noch nicht die Absicht der Soldatenmehrheit. Da überdies in der Garnison eine fast völlig unauflösbare, den Bolschewiki feindliche Minderheit erhalten geblieben war (fünf- bis sechstausend Junker, drei Kosakenregimenter, ein Bataillon Radfahrer, eine Panzerdivision), mußte der Ausgang eines Zusammenstoßes auch im September bedenklich erscheinen. Um der Sache zu helfen, brachte der Gang der Entwicklung noch eine Anschauungslektion, wobei sich das Schicksal der Petrograder Soldaten offenbarte als untrennbar verbunden mit dem Schicksale der Revolution und der Bolschewiki.
Das Recht, über Abteilungen bewaffneter Menschen zu verfügen, ist das Grundrecht einer Staatsmacht. Die erste Provisorische Regierung, dem Volke vom Exekutivkomitee aufgezwungen, hatte sich verpflichtet, die an der Februarumwälzung beteiligt gewesenen Truppenteile nicht zu entwaffnen und nicht aus Petrograd hinauszuführen. Das war der formale Beginn des militärischen Dualismus, von der Doppelherrschaft im Kern untrennbar. Die großen politischen Erschütterungen der folgenden Monate - Aprildemonstration, Julitage, Vorbereitung des Kornilow-Aufstandes und seine Liquidierung - mündeten unvermeidlich jedesmal in die Frage nach der Botmäßigkeit der Petrograder Garnison. Doch die Konflikte zwischen Regierung und Versöhnlern auf diesem Gebiete waren letzten Endes familiären Charakters und endeten gütlich. Mit der Bolschewisierung der Garnison wurde die Sache anders. Nun erinnerten die Soldaten selbst an die im März von der Regierung dem Zentral-Exekutivkomitee gegenüber eingegangene und von beiden treulos gebrochene Verpflichtung. Am 8. September erhebt die Soldatensektion des Sowjets die Forderung, die im Zusammenhang mit den Juliereignissen an die Front geschickten Regimenter nach Petrograd zurückzubringen. Indessen zerbrachen sich die Koalitionspartner darüber den Kopf, wie auch die übrigen Regimenter hinauszuschaffen.
In einer Reihe von Provinzstädten stand die Sache ungefähr ebenso wie in der Hauptstadt. Während der Monate Juli und August machten die örtlichen Garnisonen eine patriotische Auffrischung durch, im August und September verfielen die erneuerten Garnisonen der Bolschewisierung. Man mußte vom Anfang beginnen, das heißt sie wieder vermischen und erneuern. In Vorbereitung des Schlags gegen Petrograd begann die Regierung mit der Provinz. Politische Motive wurden sorgsamst
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