Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
allumfassend und gleichzeitig zweideutig: sie bewegten sich fast sämtlich an der Grenze zwischen Verteidigung der Hauptstadt und bewaffnetem Aufstande. Aber diese zwei bisher einander ausschließenden Aufgaben hatten sich jetzt tatsächlich einander genähert: nachdem er in seine Hände die Macht genommen, wird der Sowjet auch die militärische Verteidigung Petrograds auf sich nehmen müssen. Das Element der Verteidigungsmaske war nicht gewaltsam von außen hineingetragen worden, sondern ergab sich bis zu einem gewissen Grade aus den Bedingungen des Vorabends des Aufstandes.
Zum Zwecke der gleichen Maskierung wurde an die Spitze der Kommission zur Ausarbeitung der Verordnung des Komitees nicht ein Bolschewik gestellt, sondern ein Sozialrevolutionär, der junge, bescheidene Intendanturbeamte La-simir, einer jener linken Sozialrevolutionäre, die bereits vor dem Aufstande vorbehaltlos mit den Bolschewiki gingen, allerdings nicht immer voraussahen, wohin sie dies führen sollte. Lasimirs ursprüngliches Projekt war von Trotzki nach zwei Richtungen hin umredigiert worden: die praktischen Aufgaben zur Eroberung der Garnison wurden präzisiert und das allgemeine revolutionäre Ziel stärker vertuscht. Das vom Exekutivkomitee unter dem Protest zweier Menschewiki gutgeheißene Projekt einverleibte der Zusammensetzung des Militärischen Revolutionskomitees die Präsidien von Sowjet und Soldatensektion, Vertreter der Flotte, des Distriktkomitees Finnlands, der Eisenbahnergewerkschaft, der Fi-brikkomitees, Gewerkschaften, militärischen Parteiorganisationen, der Roten Garde und so weiter. Das organisatorische Fundament war das gleiche wie in vielen anderen Fällen. Aber die personelle Zusammensetzung des Komitees war durch seine neuen Aufgaben bestimmt. Man ging davon aus, daß die Organisationen Vertreter entsenden würden, die mit militärischen Fragen vertraut sind oder der Garnison nahestehen. Die Funktion sollte den Charakter des Organs bedingen.
Nicht unwichtiger war eine andere Neugründung: dem Militärischen Revolutionskomitee wurde eine permanente Garnisonberatung angegliedert. Die Soldatensektion vertrat die Garnison politisch: die Deputierten wurden gewählt im Zeichen der Parteien. Die Garnisonberatung dagegen sollte aus den Regimentskomitees zusammengesetzt werden, die das Alltagsleben ihrer Truppenteile leiteten und deren praktische, unmittelbarere "Berufs"vertretung darstellten. Die Analogie zwischen Regimentskomitees und Fabrikkomitees drängt sich von selbst auf. Vermittels der Arbeitersektion des Sowjets konnten sich die Bolschewiki in großen politischen Fragen fest auf die Arbeiter stützen. Um aber Herr im Betriebe zu werden, war es nötig, die Fabrikkomitees hinter sich zu haben. Die Zusammensetzung der Soldatensektion sicherte den Bolschewiki die politische Sympathie der Garnisonmehrheit. Um aber praktisch über die Truppenteile zu verfügen, mußte man sich unmittelbar auf die Regimentskomitees stützen können. Dies erklärt, weshalb die Garnisonberatung in der dem Aufstande vorangehenden Periode in den Vordergrund rückte und natürlicherweise die Soldatensektion verdrängte. Die angeseheneren Delegierten der Sektion gehörten übrigens auch der Beratung an.
In einem kurz vor jenen Tagen geschriebenen Artikel "Die Krise ist reif?" fragte Lenin vorwurfsvoll: "Was hat die Partei getan für das Studium der Truppenaufstellung und so weiter ...?" Trotz der aufopfernden Arbeit der Militärischen Organisation war Lenins Vorwurf berechtigt. Das rein stabsmäßige Studium der militärischen Kräfte und Mittel fiel der Partei schwer: es fehlte die Übung, es ermangelte der Einstellung. Die Lage veränderte sich jäh mit dem Augenblick, wo auf die Bühne die Garnisonberatung trat: von nun an rollte tagein, tagaus vor den Augen der Führer ein lebendiges Panorama der Garnison ab, nicht nur der Hauptstadt, sondern auch des sie näher umgehenden Militärringes.
Am 12. prüfte das Exekutivkomitee die vom Kommissar Lasimir ausgearbeitete Verordnung. Trotz dem geschlossenen Charakter der Sitzung trugen die Debatten in hohem Maße allegorischen Charakter: "Hier wurde eines gesprochen und ein anderes gemeint", schreibt mit Recht Suchanow. Nach den Leitsätzen sollten dem Komitee Verteidigungs-, Ausrü-stungs-, Verbindungs-, Informationsabteilungen und so weiter angeschlossen werden: das war der Stab oder Konterstab. Als Ziel der Beratung wurde die Hebung der Kampffähigkeit der Garnison proklamiert. Darin war keine
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