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Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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"verspürte unsere Partei festen Boden unter den Füßen ... Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Partei nur schwach und unsicher ihren Weg abgetastet."
    Stalin trat Ende März ein für militärische Verteidigung, für bedingte Unterstützung der Provisorischen Regierung, für Suchanows pazifistisches Manifest, für Verschmelzung mit Zeretellis Partei. "Diese irrige Einstellung", bekannte im Jahre 1924 Rückschau haltend Stalin selbst, "habe ich damals mit anderen Parteigenossen geteilt und mich von ihr erst Mitte April völlig losgesagt, als ich mich Lenins Thesen anschloß. Es war eine Neuorientierung nötig geworden. Diese Neuorientierung gab Lenin der Partei in seinen berühmten Aprilthesen."
    Kalinin war sogar noch Ende April für einen Wahlblock mit den Menschewiki. In der Petrograder Stadtkonferenz sagte Lenin: "Ich protestiere scharf gegen Kalinin, denn ein Block mit ... Chauvinisten ist undenkbar ... Das ist Verrat am Sozialismus." Kalinins Stimmungen bildeten sogar in Petrograd keine Ausnahme, In der Konferenz wurde gesagt: "Der Verschmelzungsrausch verflüchtigt sich unter Lenins Einfluß."
    In der Provinz hielt sich der Widerstand gegen Lenins Thesen bedeutend länger, in einer Reihe von Gouvernements -fast bis zum Oktober. Nach der Erzählung des Kiewer Arbeiters Siwzow "wurden die [von Lenin] aufgestellten Thesen nicht sogleich von der gesamten Kiewer bolschewistischen Organisation angenommen. Eine Reihe Genossen, darunter auch G. Pjatakow, waren mit den Thesen nicht einverstanden ..." Der Charkower Eisenbahner Morgunow erzählt: "Die alten Bolschewiki genossen großen Einfluß unter der Eisenbahnermasse ... viele alte Bolschewiki waren nicht Mitglieder unserer Fraktion ... nach der Februarrevolution meldeten sich einige irrtümlich bei den Menschewiki an, worüber sie später selbst lachten: wie das nur passieren konnte." An solchen und ähnlichen Zeugnissen herrscht kein Mangel.
    Trotz alledem gilt heute schon die einfache Erwähnung der von Lenin im April vollzogenen Umbewaffnung der Partei bei der offiziellen Historiographie als Gotteslästerung. Dem historischen Kriterium unterstellen die neuesten Geschichtsschreiber das Kriterium der Ehre der Parteiuniform. Sie besitzen in dieser Hinsicht nicht einmal das Recht, Stalin zu zitieren, der die ganze Tiefe der Aprilschwenkung anzuerkennen gezwungen war. "Es waren Lenins berühmte Aprilthesen notwendig, damit die Partei mit einem Schwung den neuen Weg betreten konnte." "Neuorientierung" und "neuer Weg", das eben ist die Umbewaffnung der Partei. Aber schon sechs Jahre später wurde Jaroslawski, der in seiner Eigenschaft als Historiker erwähnt hatte, Stalin habe zu Beginn der Revolution eine "irrige Position in den Kernfragen" eingenommen, von allen Seiten einer wüsten Hetze ausgesetzt. Das Idol des Prestiges ist das gefräßigste aller Ungeheuer!
    Die revolutionäre Tradition der Partei, der Druck der Arbeiter von unten, Lenins Kritik von oben zwangen die führende Parteischicht während der Monate April-Mai, um mit Stalins Worten zu sprechen, "den neuen Weg zu betreten". Doch müßte man von politischer Psychologie gar keine Ahnung haben, um anzunehmen, die bloße Stimmabgabe für Lenins Thesen habe die tatsächliche und völlige Preisgabe der "irrigen Position in den Kernfragen" bedeutet. In Wirklichkeit blieben jene vulgär-demokratischen Ansichten, die sich in den Kriegsjahren organisch gefestigt hatten, wenn sie sich auch dem neuen Programm anpaßten, zu ihm in dumpfer Opposition.
    Am 6. August tritt Kamenjew, dem Beschluß der bolschewistischen Aprilkonferenz zuwider, im Exekutivkomitee für die Beteiligung an der bevorstehenden Stockholmer Konferenz der Sozialpatrioten ein. Im Zentralorgan der Partei findet Kamenjews Schritt keine Zurückweisung. Lenin schreibt einen wütenden Artikel, der aber erst zehn Tage nach Kamenjews Rede veröffentlicht wird. Es hatte des energischen Druckes seitens Lenins und anderer Zentralkomiteemitglieder bedurft, um bei der Redaktion, an deren Spitze Stalin stand, das Erscheinen des Protestartikels zu erreichen.
    Eine Konvulsion von Schwankungen durchzitterte die Partei nach den Julitagen: die Isoliertheit der proletarischen Avantgarde erschreckte viele Führer, besonders in der Provinz. In den Kornilowtagen versuchten diese Erschreckten sich den Versöhnlern zu nähern, was wiederum eine warnende Zurechtweisung durch Lenin zur Folge hatte.
    Am 20. August druckt Stalin in seiner Eigenschaft als Redakteur ohne Vorbehalt

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