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Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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besondere Maßnahmen getroffen: wenigstens erkundigte sich meine Frau ganz genau nach meinen Absichten und gab mir den freundschaftlichen, uneigennützigen Rat, mich nach der Arbeit nicht durch die lange Fahrt abzumühen. Jedenfalls war die hohe Versammlung gegen mein Eindringen völlig gesichert." Sie erwies sich, was viel wichtiger war, auch gegen das Eindringen der Kerenskischen Polizei geschützt.
    Von einundzwanzig Mitgliedern des Zentralkomitees waren zwölf anwesend. Lenin erschien in Perücke und Brille, ohne Bart. Die Sitzung dauerte etwa zehn Stunden hintereinander bis tief in die Nacht. In den Pausen trank man Tee und aß Brot mit Wurst zur Stärkung der Kräfte. Und Kräfte waren nötig: die Frage ging um die Machteroberung im ehemaligen Zarenreich. Wie immer begann die Sitzung mit einem Organisationsbericht von Swerdlow. Diesmal waren seine Informationen der Front gewidmet offenbar nach vorherigem Übereinkommen mit Lenin, um den notwendigen Schlußfolgerungen Rückhalt zu verleihen: das entsprach völlig Lenins Praktik. Vertreter der Nordfrontarmeen warnten durch Swerdlow, das konterrevolutionäre Kommando bereite irgendeine "dunkle Geschichte mit dem Rückzug der Truppen ins Innere vor". Aus Minsk, dem Stab der Westfront, berichtete man, dort sei eine neue Kornilowiade im Entstehen; in Anbetracht des revolutionären Charakters der Organisation habe der Stab die Stadt durch Kosakentruppenteile eingekreist. "Es finden irgendwelche Verhandlungen verdächtiger Art statt zwischen den Stäben und dem Hauptquartier." Den Stab in Minsk gefangenzunehmen, sei durchaus möglich: die Organisation sei bereit, den Kosakenring zu entwaffnen. Man könne auch aus Minsk ein revolutionäres Korps nach Petrograd schicken. An der Front sei die Stimmung für die Bolschewiki, man werde gegen Kerenski gehen. So die Einleitung: sie ist nicht in allen ihren Teilen bestimmt genug, hat aber restlos ermutigenden Charakter.
    Lenin geht sogleich zum Angriff über: "Seit Anfang September ist eine gewisse Gleichgültigkeit für die Frage des Aufstandes zu beobachten." Man verweist auf Abkühlung und Enttäuschung der Massen. Nicht verwunderlich: "Die Massen sind müde der Worte und Resolutionen." Man muß die Gesamtlage berücksichtigen. Die Ereignisse in der Stadt wickeln sich jetzt ab auf dem Hintergrunde einer gigantischen Bauernbewegung. Um den Agraraufstand zum Erlöschen zu bringen, hätte die Regierung Riesenkräfte nötig. "Die politische Situation ist somit reif. Es muß über die technische Seite gesprochen werden. Das ist der Kern der ganzen Sache. Indes sind wir gleich den Vaterlandsverteidigern geneigt, die systematische Vorbereitung des Aufstandes als eine Art politischer Sünde zu betrachten." Der Berichterstatter nimmt sich offensichtlich zusammen: allzu viel ist in seiner Seele angesammelt. "Der Sowjetkongreß des Norddistrikts und der Vorschlag aus Minsk müssen ausgenutzt werden für den Beginn entscheidender Handlungen."
    Der Nordkongreß war gerade am Tage der Sitzung des Zentralkomitees eröffnet worden und sollte in zwei bis drei Tagen geschlossen werden. "Den Beginn entscheidender Handlungen" stellte Lenin als Aufgabe der nächsten Tage. Man darf nicht warten. Man darf nicht hinausschieben. An der Front - wir haben es von Swerdlow vernommen - bereitet man eine Umwälzung vor. Wird der Sowjetkongreß zustande kommen? Das ist unbekannt. Die Macht muß man sofort ergreifen, ohne irgendwelche Kongresse abzuwarten. "Unaussprechbar und nicht wiederzugeben", schrieb einige Jahre später Trotzki, "ist der Gesamtgeist jener gespannten und leidenschaftlichen Improvisationen, durchdrungen von dem Bestreben, den Opponierenden, Schwankenden, Zweifelnden den eigenen Gedanken, den eigenen Willen, die eigene Sicherheit, den eigenen Mut einzuflößen ... "
    Lenin hatte großen Widerstand erwartet. Doch seine Befürchtungen waren bald zerstreut. Die Einmütigkeit, mit der das Zentralkomitee im September den sofortigen Aufstand abgelehnt hatte, war von episodischem Charakter gewesen: der linke Flügel hatte sich gegen die "Einkreisung der Alexandrinka" aus Konjunkturerwägungen ausgesprochen; der rechte aus Erwägungen allgemeiner, wenn auch in jenem Augenblick noch nicht restlos durchdachter Strategie. Während der vergangenen drei Wochen war im Zentralkomitee ein starker Ruck nach links erfolgt. Für den Aufstand stimmten zehn gegen zwei. Das war ein ernsthafter Sieg!
    Bald nach der Umwälzung, auf einer neuen Etappe des

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