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Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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schändliches Spiel mit Formalitäten, Verrat der Revolution." Vom Standpunkte hierarchischer Beziehungen war Lenins Vorgehen keinesfalls einwandfrei. Aber es ging um etwas Größeres als um Erwägungen formaler Disziplin.
    Ein Mitglied des Wyborger Bezirkskomitees, Sweschnikow, erinnert sich: "Iljitsch schrieb und schrieb aus der Illegalität unermüdlich, und Nadeschda Konstantinowna (Krupskaja) las uns im Bezirkskomitee sehr häufig diese Manuskripte vor ... Die feurigen Worte des Führers steigerten unsere Kraft ... Ich erinnere mich wie heute der gebeugten Gestalt Nadeschda Konstantinownas, die in einem der Zimmer des Bezirksamtes, wo die Schreibmaschinisten arbeiteten, sorgfältig die Abschrift mit dem Original vergleicht, und daneben "Djadja" und "Genja", um Kopien bittend." Djadja und Genja sind alte konspirative Decknamen zweier Bezirksführer. "Unlängst", erzählt der Bezirks-Parteiarbeiter Naumow, "erhielten wir von Iljitsch einen Brief zur Weitergabe an das Zentralkomitee ... Den Brief lasen wir und waren paff. Es stellte sich heraus, daß Lenin schon längst vor dem Zentralkomitee die Frage des Aufstandes erhob. Wir machten Lärm und begannen nachzudrücken." Das gerade war nötig.
    Anfang Oktober fordert Lenin die Petrograder Parteikonferenz auf, ein machtvolles Wort zugunsten des Aufstandes zu sprechen. Auf seine Initiative hin "ersucht die Konferenz dringend das Zentralkomitee, alle Maßnahmen zu treffen für die Leitung des unvermeidlichen Aufstandes der Arbeiter, Soldaten und Bauern". Dieser eine Satz enthält zwei Maskierungen, eine juristische und eine diplomatische: von der Leitung des "unvermeidlichen Aufstandes" statt der direkten Vorbereitung des Aufstandes wird gesprochen, um dem Staatsanwalt keine zu guten Trümpfe in die Hand zu spielen; daß die Konferenz "das Zentralkomitee ersucht", nicht aber fordert oder protestiert, ist offensichtlich ein Tribut an das Prestige der höchsten Parteiorganisation. Jedoch eine andere, ebenfalls von Lenin verfaßte Resolution sagt mit größerer Offenheit: "... in den Parteispitzen sind Schwankungen wahrnehmbar, gewissermaßen Angst vor dem Kampf um die Macht, Geneigtheit, diesen Kampf durch Resolutionen, Proteste und Kongresse zu ersetzen". Das heißt schon beinahe die Partei offen zur Auflehnung gegen das Zentralkomitee rufen. Lenin entschloß sich nicht leicht zu solchen Schritten. Aber es ging um das Schicksal der Revolution, und alle anderen Erwägungen treten da in den Hintergrund.
    Am 8. Oktober wendet sich Lenin an die bolschewistischen Delegierten des bevorstehenden Sowjetkongresses des Norddistrikts: "Man darf nicht den Allrussischen Sowjetkongreß abwarten, da ihn das Zentral-Exekutivkomitee auch bis November verschleppen kann. Man darf nicht hinziehen und Kerenski erlauben neue Kornilowtruppen heranzubringen." Der Distriktkongreß, auf dem Finnland, die Flotte und Reval vertreten sind, soll die Initiative ergreifen, "um sich unverzüglich gegen Petrograd in Bewegung zu setzen". Der direkte Aufruf zum sofortigen Aufstande richtet sich diesmal an die Vertreter von Dutzenden Sowjets. Er geht persönlich von Lenin aus: ein Parteibeschluß liegt nicht vor, die oberste Parteiinstanz hat sich noch nicht geäußert.
    Es war großes Vertrauen zum Proletariat und zur Partei notwendig, aber auch sehr ernstes Mißtrauen zum Zentralkomitee, um unter dessen Umgehung, auf persönliche Verantwortung, aus der Illegalität heraus mit Hilfe kleiner, mit winziger Schrift bedeckter Briefbogen eine Agitation für den bewaffneten Aufstand zu eröffnen. Wie aber konnte es g3-schehen, daß Lenin, den wir Anfang April an der Spitze seiner eigenen Partei isoliert sahen, in der gleichen Umgebung wieder allein stand im September und Anfang Oktober? Das läßt sich nicht begreifen, glaubt man der törichten Legende, die die Geschichte des Bolschewismus als Ausfluß der reinen revolutionären Idee schildert. In Wirklichkeit hatte sich der Bolschewismus in einem bestimmten sozialen Milieu entwickelt und war dessen verschiedenartigen Einwirkungen ausgesetzt, darunter auch dem Einfluß kleinbürgerlicher Umkreisung und kultureller Rückständigkeit. Jeder neuen Situation paßte sich die Partei nur auf dem Wege innerer Krisen an.
    Damit der scharfe Voroktoberkampf in den bolschewistischen Spitzen vor uns im wahren Lichte erscheint, muß man wieder einen Blick zurückwerfen auf jene Prozesse in der Partei von denen bereits im ersten Band dieser Arbeit die Rede war. Das ist um so

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