Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
Menschen machen eine Revolution wie auch einen Krieg nicht gern. Der Unterschied jedoch ist, daß im Kriege die entscheidende Rolle der Zwang spielt; in der Revolution gibt es keinen Zwang, sieht man vom Zwang der Verhältnisse ab. Eine Revolution geschieht dann, wenn kein anderer Weg übrigbleibt. Der Aufstand, der sich über die Revolution erhebt wie ein Gipfel in der Bergkette, kann ebensowenig willkürlich hervorgerufen werden wie die Revolution in ihrer Gesamtheit. Die Massen vollziehen wiederholte Angriffe und Rückzüge, ehe sie sich zum entscheidenden Sturm entschließen.
Die Verschwörung wird gewöhnlich als das planmäßige Unternehmen einer Minderheit dem Aufstande als der Elementarbewegung einer Mehrheit gegenübergestellt. Und in der Tat: der siegreiche Aufstand, der nur Sache einer Klasse sein kann, die berufen ist, sich an die Spitze der Nation zu stellen, ist seiner historischen Bedeutung und seinen Methoden nach durch einen Abgrund getrennt von der Umwälzung durch Verschwörer, die hinter dem Rücken der Massen handeln.
Im Wesen birgt jede Klassengesellschaft genügend Widersprüche in sich, daß man in ihren Rissen eine Verschwörung bauen kann. Doch beweist die historische Erfahrung, daß immerhin ein bestimmter Krankheitsgrad der Gesellschaft nötig ist - wie in Spanien, Portugal, Südamerika -, damit die Verschwörerpolitik dauernd Nahrung findet. Eine reine Verschwörung kann selbst im Falle ihres Sieges nur die Ablösung einzelner Cliquen der gleichen regierenden Klasse an der Macht ergeben, oder noch weniger: Ablösung der Regierungsfiguren. Den Sieg eines sozialen Regimes über ein anderes hat in der Geschichte bisher nur der Massenaufstand gebracht. Während periodische Verschwörungen am häufigsten nur Ausdruck von Stillstand und Fäulnis der Gesellschaft sind, entsteht dagegen der Volksaufstand gewöhnlich als Folge einer vorangegangenen schnellen, das alte Gleichgewicht der Nation erschütternden Entwicklung. Die chronischen "Revolutionen" der südamerikanischen Republiken haben mit der permanenten Revolution nichts gemein, sie bilden vielmehr in gewissem Sinne ihren Gegensatz.
Doch bedeutet das Gesagte keinesfalls, daß Volksaufstand und Verschwörung einander unter allen Umständen ausschließen. Das Element der Verschwörung ist in dem einen oder dem anderen Maße fast immer im Aufstande enthalten. Eine historisch bedingte Etappe der Revolution bildend, ist der Massenaufstand niemals rein elementar. Sogar wenn er für die Mehrzahl seiner Teilnehmer überraschend zum Ausbruch kommt, ist er von jenen Ideen befruchtet, in denen die Aufständischen Ausweg aus Daseinslasten erblicken. Doch kann man den Massenaufstand voraussehen und vorbereiten. Kann ihn im voraus organisieren. In diesem Falle ist die Verschwörung dem Aufstand unterworfen, sie dient ihm, erleichtert seinen Gang, beschleunigt seinen Sieg. Je höher die revolutionäre Bewegung ihrem politischen Niveau nach ist, je ernster ihre Führung, einen um so größeren Raum nimmt die Verschwörung im Volksaufstande ein. Richtig das Verhältnis zwischen Aufstand und Verschwörung, in ihrem Gegensatz wie in ihrem Sichergänzen, zu verstehen, ist um so notwendiger, als der Gebrauch des Wortes "Verschwörung" sogar in der marxistischen Literatur einen nach außen hin widerspruchsvollen Charakter hat, je nachdem, ob es sich um das selbständige Unternehmen einer initiativen Minderheit handelt oder um den durch die Minderheit vorbereiteten Aufstand der Mehrheit.
Die Geschichte zeigt allerdings, daß der Volksaufstand unter bestimmten Bedingungen auch ohne Verschwörung siegen kann. Entstanden "elementar", aus allgemeiner Empörung, vereinzelten Protesten, Demonstrationen, Streiks, Straßenzusammenstößen, kann der Aufstand einen Teil der Armee mitreißen, die Kräfte des Feindes paralysieren und die alte Macht stürzen. So bis zu einem gewissen Grade geschah dies im Februar 1917 in Rußland. Ungefähr das gleiche Bild bot die Entwicklung der deutschen und der österreichisch-ungarischen Revolution im Herbst 1918. Soweit in diesen Fällen an der Spitze der Aufständischen keine von den Interessen und Zielen des Aufstandes durch und durch erfüllte Partei stand, mußte sein Sieg unabwendbar die Macht in die Hände jener Parteien legen, die bis zum letzten Augenblick dem Aufstand entgegengewirkt hatten.
Die alte Macht stürzen - ist eines. Die Macht übernehmen - ein anderes. Die Bourgeoisie ist in der Lage, in der Revolution die
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