Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
politischen Ursprung hatten. In der Sitzung des Petrograder Sowjets vom 18. erklärte Trotzki auf eine ihm von den Gegnern gestellte Frage, daß der Sowjet für die nächsten Tage keinen Aufstand festgesetzt hätte; wäre er aber dazu gezwungen, die Arbeiter und Soldaten würden sich wie ein Mann erheben. Kamen-jew, Trotzkis Nachbar im Präsidium, erhob sich sofort zu einer kurzen Erklärung: er unterschreibe jedes Wort Trotzkis. Das war ein listiger Schachzug: während Trotzki durch die äußerlich defensive Formel juristisch die Offensivpolitik deckte, versuchte Kamenjew die Formel Trotzkis; mit dem er radikal auseinanderging, zur Deckung einer direkt entgegengesetzten Politik auszunutzen.
Um die Wirkung des Kamenjewschen Manövers zu paralysieren, sagte Trotzki am selben Tage während eines Referats auf der Allrussischen Konferenz der Fabrikkomitees: "Der Bürgerkrieg ist unvermeidlich. Man muß ihn nur so unblutig und so schmerzlos wie möglich organisieren. Das ist nicht durch Schwanken und Unentschlossenheit zu erreichen, sondern nur durch den hartnäckigen und mutigen Kampf um die Macht." Die Worte vom Schwanken waren für alle offensichtlich gegen Sinowjew, Kamenjew und deren Gesinnungsgenossen gerichtet.
Die Frage betreffs Kamenjews Auftritt im Sowjet stellte Trotzki außerdem in der nächsten Sitzung des Zentralkomitees zur Debatte. In der Zwischenzeit meldete Kamenjew, um sich die Hände für die Agitation gegen den Aufstand frei zu machen, seine Demission als Mitglied des Zentralkomitees an. Die Frage wurde in seiner Abwesenheit behandelt. Trotzki betonte, daß "die entstandene Lage ganz unerträglich ist", und schlug vor, Kamenjews Demission anzunehmen. [1]
Swerdlow, der Trotzkis Vorschlag (die Demission Kamenjews anzunehmen) unterstützte, verlas einen Brief Lenins, der Sinowjew und Kamenjew für ihr Auftreten in Gorkis Zeitung als Streikbrecher brandmarkte und ihren Ausschluß aus der Partei forderte. "Kamenjews Schlauheit in der Sitzung des Petrograder Sowjets", schrieb Lenin, "ist direkt niederträchtig; er ist - man denke nur! - mit Trotzki ganz einverstanden. Aber ist es denn schwer zu begreifen, daß Trotzki vor dem Feinde, mehr als er gesagt hat, nicht sagen konnte , nicht das Recht hatte, nicht durfte. Ist es denn schwer zu begreifen, daß ... der Beschluß über die Notwendigkeit des bewaffneten Aufstandes, über seine völlige Reife, seine allseitige Vorbereitung und so weiter ... verpflichtet, in öffentlichen Äußerungen nicht nur die Schuld, sondern auch die Initiative auf den Gegner abzuwälzen ... Kamenjews Schlauheit ist einfach Gaunerei."
Als er seinen entrüsteten Protest durch Swerdlow abschickte, konnte Lenin noch nicht wissen, daß Sinowjew in einem Brief an die Redaktion des Zentralorgans eine Erklärung abgegeben hatte: seine, Sinowjews, Ansichten "sind weit entfernt von jenen, die Lenin anficht", und er, Sinowjew, "schließt sich Trotzkis gestriger Erklärung im Petrograder Sowjet an". Im gleichen Sinne trat in der Presse auch der dritte Gegner des Aufstandes, Lunatscharski, hervor. Um den böswilligen Wirrwarr voll zu machen, war Sinowjews Brief, abgedruckt im Zentralorgan gerade am Tage der Zentralkomiteesitzung, am 20., von sympathisierenden Anmerkungen der Redaktion begleitet: "Wir unsererseits drücken die Hoffnung aus, daß man mit der von Sinowjew abgegebenen Erklärung (wie auch mit Kamenjews Erklärung im Sowjet) die Frage als erschöpft betrachten kann. Der scharfe Ton in Lenins Artikel ändert an der Tatsache nichts, daß wir im wesentlichen Gesinnungsgenossen bleiben." Das war ein neuer Stoß in den Rücken, und zwar von einer Seite, von der ihn niemand erwartet hatte. Während Sinowjew und Kamenjew in der feindlichen Presse mit der offenen Agitation gegen den Beschluß des Zentralkomitees über den Aufstand hervortreten, rügt das Zentralorgan die "Schärfe" des Leninschen Tones und konstatiert seine gleiche Gesinnung mit Sinowjew und Kamenjew im "wesentlichen". Als hätte es in jenem Augenblick eine wesentlichere Frage als die Frage des Aufstandes gegeben! Laut einem kurzen Protokoll erklärte Trotz-ki in der Sitzung des Zentralkomitees: "Sinowjews und Lunatscharskis Briefe im Zentralorgan wie die Anmerkung der Redaktion können nicht geduldet werden." Swerdlow unterstützte den Protest.
Zur Redaktion gehörten damals Stalin und Sokolnikow. Das Protokoll lautet: "Sokolnikow teilt mit, daß er an der Redaktionserklärung zu Sinowjews Brief unbeteiligt war, und
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