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Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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entsteht vor der revolutionären Führung die Aufgabe einer richtigen Diagnose: man muß rechtzeitig den anwachsenden Aufstand erfassen, um ihn durch die Verschwörung zu ergänzen. Die geburtshilfliche Einmischung in die Entbindungsqualen, so sehr dies Bild mißbraucht worden ist, bleibt dennoch die krasseste Illustration des bewußten Eingriffs in den elementaren Prozeß. Herzen hat erstmals seinen Freund Bakunin beschuldigt, dieser habe bei allen seinen revolutionären Vorhaben unabänderlich den zweiten Monat der Schwangerschaft für den neunten gehalten. Herzen selbst neigte eher dazu, die Schwangerschaft auch im neunten Monat zu bestreiten. Im Februar wurde die Frage des Geburtstermins fast überhaupt nicht gestellt, insoweit der Aufstand "überraschend" ohne zentralisierte Führung ausgebrochen war. Aber gerade deshalb ging die Macht nicht an jene über, die den Aufstand vollzogen, sondern an jene, die ihn gebremst hatten. Ganz anders verhielt sich die Sache mit dem neuen Aufstand: er wurde bewußt von der bolschewistischen Partei vorbereitet. Die Aufgabe: den Moment für das Angriffssignal richtig zu erfassen, fiel somit dem bolschewistischen Stab zu.
    Das Wort "Moment" darf man nicht gar zu buchstäblich nehmen, als auf Tag und Stunde bestimmt: auch für die Geburt läßt die Natur eine beträchtliche Schwankungszeit zu, für deren Grenzen sich nicht nur die Kunst der Geburtshilfe interessiert, sondern auch die Kasuistik des Erbrechts. Zwischen dem Moment, wo der Versuch, einen Aufstand hervorzurufen, sich unvermeidlich als noch verfrüht erweisen und zur revolutionären Fehlgeburt führen muß, und dem Moment, wo man die günstige Situation schon als hoffnungslos verpaßt betrachten muß, verläuft eine gewisse Revolutionsperiode - sie läßt sich nach Wochen, manchmal nach Monaten messen -, während der der Aufstand mit mehr oder weniger Aussicht auf Erfolg durchgeführt werden kann. Das Erfassen dieser verhältnismäßig kurzen Frist und die Wahl des Moments, bereits im präzisen Sinne von Tag und Stunde, für den letzten Schlag, stellen die revolutionäre Führung vor die verantwortungsvollste Aufgabe. Man kann sie mit vollem Recht als das Knotenproblem bezeichnen, denn sie verbindet die revolutionäre Politik mit der Technik des Aufstandes: muß man daran erinnern, daß der Aufstand wie der Krieg die Fortsetzung der Politik nur mit anderen Mitteln darstellt?
    Intuition und Erfahrung sind für revolutionäre Leitung ebenso erforderlich wie für alle anderen Gebiete des Schaffens. Aber dies genügt nicht. Auch die Kunst der Kurpfuscher kann sich nicht ohne Erfolg auf Intuition und Erfahrung stützen. Politische Kurpfuscherei reicht aber nur aus für Epochen oder Perioden, die im Zeichen der Routine stehen. Eine Epoche großer historischer Umwälzungen duldet keine Kurpfuscherei. Auch die von Intuition beseelte Erfahrung g3-nügt ihr nicht. Es ist eine synthetische Doktrin erforderlich, die die Wechselwirkung der wichtigsten historischen Kräfte umfaßt. Es ist die materialistische Methode erforderlich, die es gestattet, hinter den chinesischen Schatten von Programmen und Parolen die wirkliche Bewegung der sozialen Körper zu entdecken.
    Grundvoraussetzung der Revolution ist, daß sich das bestehende gesellschaftliche Regime als unfähig erweist, die lebensnotwendigen Aufgaben der Entwicklung der Nation zu lösen. Die Revolution wird aber nur dann möglich, wenn innerhalb der Gesellschaft eine neue Klasse existiert, die zur Lösung der von der Geschichte gestellten Aufgaben an die Spitze der Nation zu treten vermag. Der Vorbereitungsprozeß der Revolution besteht darin, daß die objektiven, in den Wirtschafts- und Klassenwidersprüchen enthaltenen Aufgaben sich im Bewußtsein der lebendigen Menschenmassen Bahn brechen, es verändern und ein neues politisches Kräfteverhältnis schaffen.
    Die herrschenden Klassen verlieren infolge ihrer in der Tat offenbarten Unfähigkeit, das Land aus der Sackgasse herauszuführen, den Glauben an sich; die alten Parteien zerfallen; es entsteht ein erbitterter Kampf zwischen Gruppen und Cliquen; die Hoffnungen werden auf ein Wunder oder einen Wundertäter übertragen. All das bildet eine der politischen Voraussetzungen des Umsturzes, eine äußerst wichtige, wenn auch passive.
    Erbitterte Feindschaft gegen die bestehende Ordnung und Bereitschaft, die heroischsten Anstrengungen und Opfer zu wagen, um das Land auf den Weg des Aufstieges hinauszuführen - dies ist das neue

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