Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
bedrohlich". Das Steckenpferd des Redners war eine frischgebackene Resolution des Vorparlaments, die versuchte, dem Aufstand das blasse Echo seiner eigenen Losungen entgegenzustellen, "Es wird zu spät werden, wenn ihr diesen Beschluß nicht beachtet", sagte Dan, drohend mit dem unvermeidlichen Hunger und der Demoralisierung der Massen. "Niemals war die Konterrevolution so stark wie in diesem Augenblick", das heißt in der Nacht auf den 25. Oktober 1917! Der erschrockene Kleinbürger sieht angesichts großer Ereignisse nichts als Gefahren und Hindernisse. Seine einzige Kraftquelle ist - das Pathos der Angst. "In den Betrieben und Kasernen hat die Schwarzhundert-Presse bedeutend größeren Erfolg als die sozialistische." Wahnsinnige führen die Revolution ins Verderben, wie 1905, "als an der Spitze des Petrograder Sowjets der gleiche Trotzki stand". Doch nein. Das Zentral-Exekutivkomitee wird einen Aufstand nicht zulassen: "Nur über seiner Leiche werden sich die Bajonette der kämpfenden Parteien kreuzen." Von den Plätzen erschallen Rufe: "Aber es ist ja längst eine Leiche." Das Treffende dieses Zwischenrufes empfand der ganze Saal: Über der Leiche des Versöhnlertums kreuzten sich bereits die
Bajonette von Bourgeoisie und Proletariat. Die Stimme des Redners geht im feindlichen Lärm unter. Die Präsidentenglocke bleibt wirkungslos, Beschwörungen verfangen nicht, Drohungen schrecken nicht. Zu spät, zu spät ...
Ja, das ist der Aufstand. In seiner Antwort namens des Militärischen Revolutionskomitees, der Bolschewistischen Partei und der Petrograder Arbeiter und Soldaten wirft Trotzki endlich die letzten Formalitäten beiseite. Ja, die Massen sind mit uns, und wir führen sie zum Sturm. "Wenn ihr nicht wanken werdet", ruft er über den Kopf des ZentralExekutivkomitees hinweg den Kongreßdelegierten zu, "wird es keinen Bürgerkrieg geben, denn die Feinde werden sofort kapitulieren, und ihr werdet den Platz einnehmen, der euch von Rechts wegen gebührt - den Platz des Herrn der russischen Erde." Die bestürzten Mitglieder des Zentral-Exekutivkomitees finden nicht einmal die Kraft zum Protest. Bisher hatte die Verteidigungssprache des Smolny trotz allen Vorgängen einen schwachen Hoffnungsschimmer in ihnen genährt. Jetzt ist auch er erloschen. In diesen tiefen Nachtstunden erhebt der Aufstand hoch das Haupt.
Die an Zwischenfällen reiche Sitzung endete gegen 4 Uhr morgens. Bolschewistische Redner erschienen auf dem Podium, um sofort zum Militärischen Revolutionskomitee zurückzukehren, wo aus allen Enden der Stadt Berichte eintrafen, durchwegs günstige: die Sperrketten in den Straßen wachen; Regierungsämter werden eines nach dem andern besetzt; der Gegner leistet nirgends Widerstand.
Es hieß, die Zentrale des Fernsprechamtes sei besonders stark gesichert. Aber gegen 7 Uhr morgens wurde auch sie von einem Kommando des Kexholmer Regiments kampflos besetzt. Nun brauchten die Aufständischen nicht nur nicht mehr um ihre eigene Verbindung besorgt zu sein, sondern erhielten auch die Möglichkeit, die Telephonverbindung des Gegners zu kontrollieren. Die Apparate des Winterpalais und Hauptstabes wurden übrigens sofort ausgeschaltet.
Fast zu der gleichen Zeit bemächtigte sich eine Matrosenabteilung der Gardeequipage, etwa vierzig Mann des Gebäudes der Staatsbank am Jekaterininski-Kanal. Der Bankbeamte Ralzewitsch erinnert sich, wie die "Matrosenabteilung jählings vorging" und bei den Telephonapparaten Wachen aufstellte, um die Möglichkeit, Hilfe von außen anzufordern, abzuschneiden. Die Besetzung des Gebäudes erfolgte "ohne jeglichen Widerstand trotz Anwesenheit eines Zuges des Sem-jonowsker Regiments". Der Einnahme der Bank wurde in gewissem Sinne symbolische Bedeutung beigemessen. Die Parteikader waren erzogen an der Marx'schen Kritik der Pariser Kommune von 1871, deren Führer bekanntlich nicht gewagt hatten, die Hand gegen die Staatsbank zu erheben. "Nein, wir werden diesen Fehler nicht wiederholen", sagten sich viele Bolschewiki schon lange vor dem 25. Oktober. Die Kunde von der Besetzung der geheiligtsten aller bürgerlichen Staatsinstitutionen durchflog sogleich die Bezirke, wo sie eine heiße Welle des Triumphes erzeugte.
In den frühen Morgenstunden wurden besetzt der Warschauer Bahnhof, die Druckerei der Birschewyja Wedomosti und, direkt vor Kerenskis Fenstern, die Schloßbrücke, Ein Kommissar des Komitees kam ins Kresty-Gefängnis und zeigte den diensthabenden Soldaten des Wolynsker Regiments
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