Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
nicht immer genau, da sie meist von zufälligen Teilnehmern und Beobachtern stammen. Jene Arbeiter, Matrosen und Soldaten aber, die die wirklichen Inspiratoren und Leiter der Operationen zur Einnahme der Hauptstadt waren, gelangten bald an die Spitze der ersten Abteilungen der Roten Armee und ließen in den meisten Fällen bald ihr Leben auf den verschiedenen Schauplätzen des Bürgerkrieges. Bei der Ermittlung des Charakters und der Aufeinanderfolge der einzelnen Episoden stößt der Forscher auf große Verworrenheiten, die die Zeitungsberichte nur noch komplizierter gestalten. Es scheint mitunter, daß im Herbst 1917 Petrograd zu erobern leichter war, als vierzehn Jahre später diesen Prozeß zu rekonstruieren.
Die erste Kompanie des Pionierbataillons, die festeste und revolutionärste, wurde mit der Einnahme des benachbarten Nikolajewski-Bahnhofs betraut. Schon nach einer Viertelstunde war der Bahnhof ohne einen Schuß mit starken Wachen besetzt: die regierungstreuen Posten hatten sich einfach in die Dunkelheit verflüchtigt. Voll verdächtigen Lärms und geheimnisvoller Bewegung ist die kalte durchdringende Nacht. Die scharfe Unruhe in ihrem Herzen unterdrük-kend, halten Soldaten gewissenhaft Vorbeigehende und Vorbeifahrende an, um sorgfältig deren Papiere zu prüfen. Nicht immer wissen sie, wie zu verfahren, schwanken, - lassen meistens vorbei. Doch mit jeder Stunde steigt die Sicherheit. Gegen 6 Uhr morgens halten die Pioniere zwei Kraftwagen mit Junkern an, etwa sechzig Mann, entwaffnen sie und bringen sie in das Smolny.
Das gleiche Bataillon erhält Befehl, fünfzig Mann zum Schutze eines Proviantlagers zu schicken, einundzwanzig Mann zur Bewachung der Elektrischen Zentrale. Eine Order löst die andere ab, bald aus dem Smolny, bald aus dem Bezirk. Niemand widerspricht, niemand murrt. Nach der Meldung eines Kommissars werden die Befehle "umgehend und exakt" durchgeführt. Die Bewegungen der Soldaten bekommen eine längst nicht mehr dagewesene Präzision. So sehr diese morsche Garnison auch aufgelockert, nur noch zum Abbruch tauglich ist, erwacht diese Nacht der alte Soldatendrill wieder in ihr und spannt - zum letztenmal - jeden Muskel im Dienste des neuen Zieles.
Kommissar Uralow erhielt zwei Mandate: eins zur Besetzung der Druckerei der reaktionären Zeitung Russkaja Wolja (Russischer Wille), einstmals gegründet von Protopopow, kurz bevor er Nikolaus II. letzter Innenminister geworden; das zweite - eine Kolonne Soldaten aus dem Semjonowsker Garderegiment zu holen, das die Regierung aus alter Gewohnheit noch als das ihrige betrachtete. Die Semjonowsker wurden gebraucht zur Besetzung einer Druckerei, die Druckerei - zur Herausgabe der bolschewistischen Zeitung in großem Format und großer Auflage. Die Soldaten waren bereits beim Schlafengehen. Der Kommissar setzte ihnen kurz den Zweck seiner Mission auseinander: "Kaum war ich fertig, als von allen Plätzen Hurrarufe erschallten. Die Soldaten sprangen von ihren Pritschen auf und umringten mich im engen Kreise." Vollbeladen mit Semjonowsker Soldaten fuhr das Lastauto zur Druckerei. Im Rotationsmaschinensaal versammelte sich im Nu die Nachtschicht der Arbeiter. Der Kommissar setzte ihnen den Zweck seines Erscheinens auseinander. "Wie in der Kaserne antworteten auch hier die Arbeiter mit Rufen Hurra! und Hoch die Sowjets!" Die Mission ist erfüllt. Ungefähr in der gleichen Weise vollzog sich auch die Einnahme anderer Institutionen. Gewaltanwendung war nicht erforderlich, da es keinen Widerstand gab. Die aufständischen Massen breiteten die Ellenbogen aus und verdrängten die gestrigen Herren.
Der Bezirkskommandierende Polkownikow meldete nachts ins Hauptquartier und in den Stab der Nordfront über die militärischen Drahtleitungen: "Lage in Petrograd erschreckend. Straßenkundgebungen und Unruhen finden nicht statt. Aber es geht eine planmäßige Besetzung von Ämtern und Bahnhöfen, Verhaftungen ... Die Junker verlassen die
Wachtposten ohne Widerstand. Es bestehen keine Garantien, daß nicht ein Versuch zur Verhaftung der Provisorischen Regierung unternommen wird." Polkownikow hat recht: es bestehen tatsächlich keine Garantien.
In Militärkreisen erzählte man, Agenten des Militärischen Revolutionskomitees hätten bei dem Petrograder Kommandanten aus dessen Tisch Parolen und Abberufungsordern der Garnisonwachen gestohlen. Unwahrscheinlich wäre das nicht: beim unteren Personal aller Ämter hatte der Aufstand Freunde genug. Aber doch ist die Version
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