Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
von den entwendeten Parolen aller Wahrscheinlichkeit nach entstanden, um jene allzu kränkende Leichtigkeit zu erklären, mit der die bolschewistischen Wachen die Stadt einnahmen.
An die Garnison ist während der Nacht ein Befehl ergangen: Offiziere, die die Macht des Militärischen Revolutionskomitees nicht anerkennen, sind zu verhaften. In vielen Regimentern waren die Kommandeure bereits von selbst verschwunden, um an einem stillen Platze die unruhigen Tage abzuwarten. In anderen Truppenteilen wurden die Offiziere entfernt oder verhaftet. Überall bildeten sich eigene revolutionäre Komitees oder Stäbe, die Hand in Hand mit den Kommissaren arbeiteten. Daß das improvisierte Kommando nicht auf der Höhe war, versteht sich von selbst. Dafür aber war es zuverlässig. Und die Frage wurde vor allem in der politischen Instanz entschieden.
Doch entwickelten bei all ihrer Unerfahrenheit die Stäbe einzelner Truppenteile bedeutende militärische Initiative. Das Komitee des Pawlowsker Regiments schickte von sich aus Kundschafter in den Bezirksstab, um zu erfahren, was dort geschehe. Das Reserve-Chemiebataillon beobachtete aufmerksam die unruhigen Nachbarn: die Junker der Pawlowsker und Wladimirsker Schulen und die Schüler des Kadettenkorps. Die Chemiker entwaffneten häufig auf der Straße Junker und hielten sie damit in Angst. Durch Verbindung mit dem Soldatenkommando der Pawlowsker Schule erreichte der Stab des Chemischen Bataillons, daß die Schlüssel zu den Waffen in die Hände des Kommandos gerieten.
Die Zahlenstärke der an der nächtlichen Einnahme der Hauptstadt unmittelbar Beteiligten ist schwer zu bestimmen: nicht nur, weil niemand sie gezählt und notiert hat, sondern auch des Charakters der Operation wegen. Die Reserven zweiten und dritten Grades verschmolzen fast mit der gesamten Garnison Doch brauchte man nur episodisch zu den Reserven zu greifen. Einige tausend Rotgardisten, zwei-, dreitausend Seeleute - morgen mit dem Eintreffen der Kron-städter und Helsingforser wird ihre Zahl sich annähernd verdreifachen -, etwa zwanzig Infanteriekompanien und -kommandos -, das waren die Kräfte ersten und zweiten Aufgebots, mit deren Hilfe die Aufständischen die Hauptstadt einnahmen.
Um 3 Uhr nachts meldete der Chef der politischen Verwaltung des Kriegsministeriums, Menschewik Seher, über die direkte Leitung nach dem Kaukasus: "Es tagt eine Sitzung des Zentral-Exekutivkomitees gemeinsam mit den zum Sowjetkongreß eingetroffenen Delegierten, in überwiegender Mehrheit Bolschewiki. Trotzki wurde eine Ovation bereitet. Er erklärte, daß er auf einen unblutigen Ausgang des Aufstandes hoffe, da die Macht in ihren Händen sei. Die Bol-schewiki sind zu aktiven Handlungen übergegangen. Sie haben die Nikolajewski-Brücke besetzt, dort Panzerwagen aufgefahren. Das Pawlowsker Regiment hat auf der Milljonaja-Straße neben dem Winterpalais Posten aufgestellt, hält alle an, verhaftet und führt ins Smolny-Institut ab. Verhaftet sind Minister Kartaschew und der Geschäftsführer der Provisorischen Regierung, Halperin. Der Baltische Bahnhof ist ebenfalls in den Händen der Bolschewiki. Wenn die Front sich nicht einmischt, verfügt die Regierung über keine Kräfte, den vorhandenen Truppen Widerstand zu leisten."
Die Vereinigte Sitzung des Exekutivkomitees, von der der Bericht Leutnant Sehers spricht, wurde im Smolny nach Mitternacht eröffnet. Die Delegierten des Sowjetkongresses füllten den Saal als Gäste. Korridore und Gänge sind durch verstärkte Wachen besetzt. Feldgraue Mäntel, Gewehre, in den Fenstern Maschinengewehre. Die Mitglieder der Exekutivkomitees ertranken in der vielköpfigen und feindlichen Masse der Provinzler. Das oberste Organ der "Demokratie" schien bereits Gefangener des Aufstandes zu sein. Es fehlte die gewohnte Figur des Vorsitzenden Tschcheidse. Es fehlte der unvermeidliche Referent Zeretelli. Eingeschüchtert durch den Gang der Ereignisse, hatten beide einige Wochen vor dem Kampfe ihre verantwortlichen Posten niedergelegt und waren, Petrograd seinem Schicksal überlassend, in ihr heimatliches Georgien abgereist. Führer des Versöhnlerblocks blieb Dan. Er besaß weder die listige Gutmütigkeit Tschcheidses noch die pathetische Beredsamkeit Zeretellis; dafür überragte er beide an starrer Kurzsichtigkeit. Einsam auf der Präsidiumstribüne eröffnete der Sozialrevolutionär Goz die Sitzung. Dan nahm das Wort unter völligem Schweigen des Saales, das Suchanow lau schien und John Reed "fast
Weitere Kostenlose Bücher