Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
herrschten noch in h-ren vier Wänden, die überdies unter verstärktem Wachschutz standen. In die bürokratischen Höhen mußte man von außen eindringen. Die politische Eroberung mußte hier durch gewaltsame Eroberung ersetzt werden. Da jedoch die vorausgegangene Verdrängung der Regierung aus ihren militärischen Basen ihr den Widerstand fast unmöglich machte, verlief die gewaltsame Einnahme der letzten Kommandohöhen in der Regel ohne Zusammenstöße.
Allerdings ging es nicht völlig ohne Kämpfe ab: das Winterpalais mußte im Sturm genommen werden. Aber gerade die Tatsache, daß der Widerstand der Regierung auf das Verteidigen des Palais hinauslief, bestimmt klar den Platz des 25. Oktober im Gange des Kampfes. Das Winterpalais war die letzte Schanze des politisch während der acht Monate seines Bestehens geschlagenen und in den letzten zwei Wochen vollends entwaffneten Regimes.
Elemente der Verschwörung, versteht man darunter Plan und zentralisierte Leitung, nahmen in der Februarrevolution einen verschwindenden Platz ein. Das ergab sich schon aus der Schwäche und Zersplitterung der revolutionären Gruppen dank dem Druck des Zarismus und des Krieges. Eine um so größere Aufgabe fiel den Massen zu. Die Aufständischen waren keine menschlichen Heuschrecken. Sie hatten ihre politische Erfahrung, ihre Traditionen, ihre Parolen, ihre namenlosen Führer. Waren aber die im Aufstande zerstreuten Elemente der Führung ausreichend für den Sturz der Monarchie, so reichten sie bei weitem nicht aus, um den Siegern die Früchte ihres eigenen Sieges einzuhändigen.
Die Ruhe in den Oktoberstraßen, das Fehlen von Massen und Kämpfen gaben den Gegnern Anlaß, von Verschwörung einer verschwindenden Minderheit, vom Abenteuer eines Häufleins Bolschewiki zu sprechen. Diese Formel wurde in den dem Aufstande folgenden Tagen, Monaten und sogar Jahren unzählige Male wiederholt. Offenbar um die Reputation der proletarischen Umwälzung zu verbessern, schreibt Jaroslawski über den Tag des 25. Oktober: "Dichte Massen des Petrograder Proletariats stellten sich auf den Ruf des Militärischen Revolutionskomitees unter dessen Banner und überschwemmten die Straßen Petrograds." Der offizielle Historiker vergißt zu erklären, zu welchem Zweck das Militärische Revolutionskomitee die Massen auf die Straße gerufen hatte und was sie dort eigentlich getan haben.
Aus der Verbindung von Macht und Schwäche der Februarrevolution erwuchs deren offizielle Idealisierung als einer allnationalen Revolution zum Unterschiede von der Oktoberumwälzung als einer Verschwörung. In Wirklichkeit konnten die Bolschewiki im letzten Moment den Kampf um die Macht auf eine "Verschwörung" beschränken, nicht weil sie eine kleine Minderheit waren, sondern im Gegenteil, weil sie in den Arbeitervierteln und eine erdrückende, geschlossene, organisierte und disziplinierte Mehrheit hinter sich hatten.
Richtig die Oktoberumwälzung verstehen kann man nur dann, wenn man das Blickfeld nicht auf ihr abschließendes Glied beschränkt. Ende Februar wurde die Schachpartie des Auftandes vom ersten bis zum letzten Zug gespielt, das heißt bis zur Waffenstreckung des Gegners; Ende Oktober lag die Grundpartie bereits zurück, und am Tage des Aufstandes war nur die ziemlich enge Aufgabe zu lösen: Matt in zwei Zügen. Die Umwälzungsperiode muß man deshalb vom 9. Oktober rechnen, wo der Konflikt wegen der Garnison begann, oder vorn 12., wo die Gründung des Militärischen Revolutionskomitees beschlossen wurde. Das Vernebelungsmanöver zog sich über zwei Wochen hin. Sein entscheidendster Teil dauerte fünf bis sechs Tage vom Moment der Entstehung des Militärischen Revolutionskomitees ab. Während dieser ganzen Periode wirkten unmittelbar Hunderttausende Arbeiter und Soldaten, defensiv der Form, offensiv dem Wesen nach. Die Schlußetappe, als die Aufständischen die Konventionen der Doppelherrschaft mit deren zweifelhafter Legalität und Defensiv-Phraseologie endgültig fallen ließen, nahm genau vierundzwanzig Stunden in Anspruch: von 2 Uhr nachts zum 25. bis 2 Uhr nachts auf den 26. Innerhalb dieser Frist wandte das Militärische Revolutionskomitee offen Waffen an zur Eroberung der Stadt und Gefangennahme der Regierung: an den Operationen nahmen im allgemeinen so viel Kräfte teil, wie zur Lösung der begrenzten Aufgabe notwendig waren, jedenfalls kaum mehr als fünfundzwanzig bis dreißig Tausend.
Ein italienischer Schriftsteller, der Bücher nicht nur über Nächte
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