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Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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stellte sich plötzlich heraus, daß Trotzki die Bedeutung der Bauerngarnison zum Nachteil der Petrograder Arbeiter überschätzt: eine wissenschaftliche Entdeckung, die überaus glücklich die Beschuldigung der Unterschätzung der Bauernschaft ergänzt!
    Dutzende, junger Historiker mit Professor Pokrowski an der Spitze erläuterten in den letzten Jahren die Bedeutung des Proletariats für die proletarische Revolution, entrüsteten sich darüber, daß wir nicht von Arbeitern sprachen in jenen Zeilen, wo bei uns von Soldaten die Rede ist, und überführten uns, den realen Gang der Ereignisse analysiert zu haben, statt die Schulvorlagen abzuschreiben. Die Resultate dieser Kritik preßt Pokrowski in der Schlußfolgerung zusammen: "Obgleich es Trotzki sehr wohl bekannt ist, daß der bewaffnete Aufstand von der Partei beschlossen wurde ... und es ganz klar war, daß der Vorwand für den Aufstand nur Nebensache blieb, steht nichtsdestoweniger für ihn im Zentrum des Bildes die Petrograder Garnison ... - als wäre, hätte es diese nicht gegeben, an den Aufstand nicht zu denken gewesen." Für unseren Historiker ist nur der "Parteibeschluß" in bezug auf den Aufstand von Bedeutung; wie sich aber der Aufstand in Wirklichkeit vollzog, ist "Nebensache"; ein Vorwand findet sieh immer. Mit Vorwand bezeichnet Po-krowski das Mittel, die Truppen zu gewinnen, das heißt die Lösung eben jener Frage, aus der sich das Schicksal eines jeden Aufstandes ergibt. Die proletarische Revolution wäre zweifellos auch ohne den Konflikt wegen Abtransport der Garnison erfolgt; der Professor hat recht. Doch wäre das ein anderer Aufstand gewesen, und er würde eine andere Darstellung erfordern. Wir aber meinen jene Ereignisse, die in Wirklichkeit geschehen sind.
    Einer der Organisatoren und später Historiker der Roten Garde, Malachowski, pocht seinerseits darauf, daß gerade die bewaffneten Arbeiter zum Unterschiede von der halbpassiven Garnison im Aufstande Initiative, Entschlossenheit und Disziplin bewiesen. "Die Rotgardistenabteilungen", schreibt er, "besetzen während der Oktoberumwälzung Regierungsämter, Post, Telegraph, sie sind auch in allen Kämpfen vorne an" ... und so weiter. Zweifellos richtig. Es ist jedoch nicht schwer zu begreifen, daß, wenn die Rotgardisten Ämter einfach "besetzen" konnten, so nur deshalb, weil die Garnison mit ihnen war, sie unterstützte oder mindestens nicht hinderte. Dies entschied auch das Schicksal des Aufstandes.
    Schon die Aufwerfung der Frage, wer für die Umwälzung wichtiger sei: die Soldaten oder die Arbeiter?, beweist ein trauriges theoretisches Niveau, bei dem fast kein Platz für Diskussionen bleibt. Die Oktoberrevolution war der Kampf des Proletariats gegen die Bourgeoisie um die Macht. Aber den Ausgang des Kampfes entschied letzten Endes der Mu-schik. Dieses allgemeine Schema, das für das ganze Land galt, fand in Petrograd den vollendetsten Ausdruck. Was hier der Umwälzung den Charakter eines kurzen Schlages mit minimalster Zahl an Opfern verlieh, war die Verbindung der revolutionären Verschwörung, des proletarischen Aufstandes mit dem Kampf der Bauerngarnison um die Selbsterhaltung. Geleitet wurde die Umwälzung von der Partei; die wichtigste treibende Kraft war das Proletariat; die bewaffneten Arbeiterabteilungen bildeten die Faust des Aufstandes; doch den Ausgang des Kampfes entschied die schwerwiegende Bauerngarnison.
    Gerade in dieser Frage ist die Gegenüberstellung von Februar- und Oktoberumwälzung besonders unersetzlich. Am Vorabend des Sturzes der Monarchie bildete die Garnison für beide Parteien das große Unbekannte. Die Soldaten selber wußten noch nicht, wie sie auf einen Aufstand der Arbeiter reagieren würden. Erst der Generalstreik vermochte die erforderliche Arena zu schaffen für Massenzusammenstöße von Arbeitern mit Soldaten, für die Überprüfung der Soldaten durch die Tat, für den Übergang der Soldaten auf die Seite der Arbeiter. Darin eben bestand der dramatische Inhalt der fünf Februartage.
    Am Vorabend des Sturzes der Provisorischen Regierung stand die überwiegende Mehrheit der Garnison offen auf seiten der Arbeiter. Nirgendwo im ganzen Lande war die Regierung derart isoliert wie in ihrer Residenz: nicht umsonst drängte sie so, ihr zu entfliehen. Vergeblich: die feindliche Hauptstadt ließ sie nicht weg. Durch den erfolglosen Versuch, die revolutionären Regimenter hinauszudrängen, hatte sich die Regierung endgültig ihr Verderben bereitet. Kerenskis passive

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