Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
Bolschewiki. Lenin erneuert hier seinen Septembervorschlag: Handeln direkt im Namen des Zentralkomitees - für den Fall, daß die Sowjetlegalität das Militärische Revolutionskomitee hindern sollte, den Kongreß vor die vollzogene Tatsache der Umwälzung zu stellen.
Ungeachtet dessen, daß dieser ganze Kampf um Termine und Methoden des Aufstandes Wochen gedauert hat, haben sich nicht alle Teilnehmer über seinen Sinn und seine Bedeutung klar Rechenschaft abgelegt. "Lenin schlug vor, die Macht vermittels der Sowjets, des Leningrader oder des Moskauer, zu übernehmen, nicht hinter deren Rücken", schrieb Stalin im Jahre 1924. "Wozu hatte Trotzki diese mehr als seltsame Legende über Lenin nötig?" Und weiter: "Die Partei kennt Lenin als den größten Marxisten unserer Zeit ..., dem jeder Schatten von Blanquismus fremd ist." Indes angeblich bei Trotzki "nicht der Riese Lenin entsteht, sondern irgendein Zwerg-Blanquist" ... Nicht bloß Blanquist, sondern auch Zwerg! In Wirklichkeit wird die Frage, in wessen Namen ein Aufstand zu beginnen und von welcher Institution die Macht zu übernehmen ist, keinesfalls durch irgendeine Doktrin vorausbestimmt. Beim Vorhandensein allgemeiner Bedingungen für die Umwälzung verwandelt sich der Aufstand in ein praktisches Problem der Kunst, das auf verschiedene Weise gelöst werden kann. In diesem ihrem Teil entsprechen die Meinungsverschiedenheiten im Zentralkomitee dem Streit der Offiziere eines Generalstabs, die, in derselben militärischen Doktrin erzogen und die strategische Gesamtsituation in gleicher Weise einschätzend, verschiedene Varianten vorschlagen für die Lösung der nächsten, hervorragend wichtigen Aufgabe, die aber doch nur eine Teilaufgabe ist. Dabei Fragen des Marxismus und Blanquismus an den Haaren herbeiziehen, heißt, mangelndes Verständnis sowohl für das eine wie das andere offenbaren.
Professor Pokrowski bestreitet überhaupt die Bedeutung der Alternative: Sowjet oder Partei? Soldaten sind ganz und gar nicht Formalisten, ironisiert er: sie brauchten den Sowjetkongreß nicht, um Kerenski zu stürzen. Bei allem Witz läßt diese Fragestellung ungeklärt: wozu überhaupt Sowjets schaffen, wenn die Partei genügt? "Interessant", fährt der Professor fort, "daß aus diesem Bestreben, alles fast legal zu machen, sowjetlegal, nichts herauskam - und die Macht im letzten Augenblick nicht der Sowjet übernahm, sondern eine offen "illegale", ad hoc geschaffene Organisation." P> krowski verweist darauf, daß Trotzki gezwungen war, "im Namen des Militärischen Revolutionskomitees" und nicht des Sowjets die Regierung Kerenski als nicht mehr bestehend zu erklären. Ein völlig überraschendes Argument: Das Militärische Revolutionskomitee war ein vom Sowjet gewähltes Organ. Die führende Rolle des Komitees in der Umwälzung verletzte in keiner Weise die Sowjetlegalität, über die der Professor so höhnt, die aber die Massen eifrigst verteidigten. Der Sowjet der Volkskommissare war ebenfalls ad hoc geschaffen, was ihn nicht hinderte, Organ der Sowjetmacht zu sein und zu bleiben, mit Einschluß Pokrowskis selbst als Stellvertreters des Volksbildungskommissars.
Auf dem Boden der Sowjetlegalität und in hohem Maße sogar im Rahmen der Doppelherrschaftstraditionen zu bleiben vermochte der Aufstand hauptsächlich infolge der Tatsache, daß die Petrograder Garnison sich bereits vor der Umwälzung fast völlig dem Sowjet untergeordnet hatte. In zahlreichen Erinnerungen, Jubiläumsartikeln und in den ersten historischen Darstellungen galt diese durch zahllose Dokumente belegte Tatsache als unbestreitbar. "Der Konflikt in Petrograd entwickelte sich bei der Frage nach dem Schicksal der Garnison", sagt das erste Büchlein über den Oktober, das der Autor der vorliegenden Arbeit nach ganz frischen Erinnerungen in den Pausen zwischen den Brest-Litowsker Verhandlungen niederschrieb und das während einiger Jahre in der Partei die Rolle eines Geschichtslehrbuches spielte. "Die Kernfrage, um die die gesamte Bewegung im Oktober aufgebaut und organisiert wurde", drückt sich noch deutlicher Sadowski aus, einer der unmittelbaren Organisatoren der Umwälzung, "bildete die Versetzung der Petrograder Garnisonregimenter an die Nordfront ..." Keinem der nächsten Führer des Aufstandes kam es bei einer Kollektivunterhaltung, veranstaltet mit dem direkten Zweck, den Gang der Ereignisse zu rekonstruieren, in den Sinn, Sadowski zu widersprechen oder ihn zu korrigieren. Erst seit dem Jahre 1924
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