Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
Suchanow ist der Überzeugung, daß die Regierung während des 23. und in der Nacht zum 24., hätte sie Initiative entwickelt, imstande gewesen wäre, das Komitee zu verhaften: "Eine gute Abteilung von fünfhundert Mann hätte vollständig genügt, um das Smolny mit seinem gesamten Inhalt zu liquidieren." Möglich. Doch erstens hätte die Regierung dazu Entschlossenheit und Mut nötig gehabt, das heißt Eigenschaften, die ihrer Natur entgegengesetzt waren. Zweitens war "eine gute Abteilung von fünfhundert Mann" erforderlich. Wo sollte man sie hernehmen? Aus Offizieren zusammenstellen? Wir haben sie Ende August in der Verschwörerrolle gesehen: man mußte sie in Nachtlokalen suchen. Die Kampfmannschaften der Versöhnler waren auseinandergefallen. In den Junkerschulen schuf jede akute Frage Gruppierungen. Noch schlimmer stand es bei den Kosaken. Eine Abteilung durch individuelle Auslese aus verschiedenen Truppenteilen zusammenzustellen, hätte bedeutet, sich zehnmal verraten, ehe das Unternehmen beendet gewesen wäre.
Aber auch das Vorhandensein der Abteilung hätte noch nichts entschieden. Der erste Schuß vor dem Smolny würde in den Arbeiterbezirken und in den Kasernen einen donnernden Widerhall geweckt haben. Dem bedrohten Zentrum der Revolution wären zu jeder Tages- und Nachtstunde Zehntausende bewaffneter und halbbewaffneter Menschen zu Hilfe geeilt. Schließlich hatte auch die Gefangennahme des Militärischen Revolutionskomitees die Regierung nicht zu retten vermocht. Außerhalb der Smolnymauern gab es Lenin und das mit ihm verbundene Zentralkomitee und Petrogra-der Komitee. In der Peter-Paul-Festung saß ein zweiter Stab, auf der Aurora ein dritter, eigene Stäbe - in den Bezirken. Die Massen wären nicht ohne Führung geblieben. Die Arbeiter und Soldaten aber wollten trotz aller Schwerfälligkeit siegen um jeden Preis.
Zweifellos hätte man ergänzende Maßnahmen militärischer Vorsicht immerhin einige Tage früher ergreifen können und ergreifen sollen. Suchanows Kritik ist in diesem Teil richtig. Der militärische Revolutionsapparat arbeitet ungelenk, mit Verspätungen und Versäumnissen, die Gesamtleitung ist allzusehr geneigt, Technik durch Politik zu ersetzen. Lenins Auge fehlt im Smolny sehr. Die anderen haben's noch nicht gelernt.
Suchanow hat auch darin recht, daß das Winterpalais in der Nacht auf den 25. oder am Morgen dieses Tages unvergleichlich leichter einzunehmen gewesen wäre als in der folgenden Nacht. Das Palais wie das benachbarte Stabsgebäude waren von den üblichen Junkerposten bewacht: ein überraschender Überfall hätte fast mit Bestimmtheit Erfolg garantiert. Am Morgen fuhr Kerenski unbehindert im Automobil weg: schon das zeigt, daß es keinen ernsthaften Beobachtungsdienst in bezug auf das Winterpalais gab. Hier bestand eine offenbare Lücke!
Mit der Beobachtung der provisorischen Regierung wurden - allerdings viel zu spät: am 24.! - Swerdlow und dessen Gehilfen Laschewitsch und Blagonrawow betraut. Höchstwahrscheinlich ist Swerdlow, der sich ohnehin in Stücke zerriß, kaum an diese neue Aufgabe herangetreten. Es ist sogar möglich, daß der Beschluß selbst, obwohl protokolliert, in der Hitze jener Stunden vergessen ward.
Im Militärischen Revolutionskomitee überschätzte man, trotz allem, die Hilfsquellen der Regierung, insbesondere den Schutz des Winterpalais. Wenn den unmittelbaren Leitern der Belagerung die inneren Kräfte des Palais auch bekannt waren, so mußten sie doch befürchten, daß auf den ersten Alarm Verstärkungen eintreffen würden: Junker, Kosaken, Stoßbrigadler. Der Plan zur Einnahme des Winterpalais war im Stile einer großen Operation ausgearbeitet: wenn Zivilisten oder Halbzivilisten an die Lösung einer rein militärischen Aufgabe herangehen, neigen sie stets zu strategischen Klügeleien. Neben übermäßigem Pedantismus mußten sie dabei auch reichlich Unbeholfenheit entwickeln.
Das Durcheinander bei der Einnahme des Palais läßt sich bis zum gewissen Grade auch mit den persönlichen Eigenschaften der Hauptführer erklären. Podwojski, Antonow-Owssejenko, Tschudnowski - waren Menschen von heroischer Art. Aber vielleicht am wenigsten Menschen systematischen und disziplinierten Denkens. Podwojski, der sich in den Julitagen zu weit hervorgewagt hatte, war viel vorsichtiger geworden, sogar skeptischer in bezug auf die nächsten Perspektiven. Doch im wesentlichen blieb er sich treu: Angesichts einer praktischen Aufgabe war er organisch bestrebt,
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