Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
beider Sowjets, der Arbeiter und der Soldaten, "einen Aufruf herauszugeben und anzuschlagen, in dem darauf verwiesen wird, daß die Beschuldigung der Spionage gegen die Fraktion der Bolschewiki Verleumdung und Intrige der Konterrevolution ist". Der Petrograder Sowjet, von den Regierungskombinationen unmittelbarer abhängig, unternahm keinerlei Schritte, sondern wartete das Resultat der Untersuchungskommission ab, die indes nicht an die Arbeit heranging.
Am 5. Juli stellte Lenin in einem Gespräch mit Trotzki die Frage: "Werden sie uns nicht einen nach dem anderen abschießen?" Nur mit solchen Absichten war ja überhaupt der offiziöse Stempel auf der ungeheuerlichen Verleumdung zu erklären. Lenin hielt die Feinde für fähig, die von ihnen angezettelte Sache bis zu Ende zu führen, und kam zu der Schlußfolgerung: sich ihnen nicht in die Hände geben. Am 6. abends traf von der Front Kerenski ein, vollgepfropft von Eingebungen der Generale, und verlangte entschiedene Maßnahmen gegen die Bolschewiki. Etwa um 2 Uhr nachts beschloß die Regierung, alle Führer des "bewaffneten Aufstandes" zur Verantwortung zu ziehen und die Regimenter, die an der Meuterei teilgenommen, aufzulösen. Das Militärdetachement, das in die Wohnung Lenins geschickt wurde, eine Haussuchung und die Verhaftung vorzunehmen, mußte sich mit der Haussuchung begnügen, da der Wohnungsinhaber bereits nicht mehr zu Hause war. Lenin hielt sich noch in Petrograd auf, verbarg sich aber in einer Arbeiterwohnung und verlangte, daß die Untersuchungskommission des Sowjets ihn und Sinowjew unter Bedingungen vernehme, die eine Falle seitens der Konterrevolution ausschlössen. In einer an die Kommission gerichteten Erklärung schrieben Lenin und Sinowjew: "Morgens [Freitag, den 7. Juli] wurde Kamenjew von der Duma aus mitgeteilt, die Kommission werde heute um 12 Uhr in die verabredete Wohnung kommen. Wir schreiben diese Zeilen um 6? Uhr abends des 7. Juli und stellen fest, daß die Kommission bis jetzt nicht erschienen ist und nichts von sich hat hören lassen ... Die Verantwortung für die Verzögerung der Vernehmung fällt nicht auf uns." Das Ausweichen der Sowjetkommission vor der versprochenen Untersuchung überzeugte Lenin endgültig davon, daß die Versöhnler ihre Hände in Unschuld wuschen und die Abrechnung den Weißgardisten überließen. Offiziere und Junker, die inzwischen Zeit gefunden hatten, die Parteidruckerei zu demolieren, verprügelten und verhafteten in den Straßen jeden, der gegen die Beschuldigung protestierte, die Bolschewiki seien Spione. Da beschloß Lenin endgültig, sich zu verbergen, nicht vor der Untersuchung, sondern vor der möglichen Abrechnung.
Am 15. gaben Lenin und Sinowjew in der Kronstädter bolschewistischen Zeitung, die zu verbieten die Behörden nicht gewagt hatten, eine Erklärung ab, weshalb sie es nicht für angängig hielten, sich den Händen der Behörden auszuliefern: "Aus dem in der Sonntagnummer der Zeitung Nowoje Wremja veröffentlichten Brief des früheren Justizministers Perewersew geht ganz klar hervor, daß die "Sache" gegen Lenin und Genossen wegen Spionage völlig überlegt, von der Partei der Konterrevolution angezettelt ist. Perewersew gesteht ganz offen, daß er ungeprüfte Beschuldigungen in Umlauf gebracht hat, um die Wut (wörtlicher Ausdruck) der Soldaten gegen unsere Partei auszulösen. Das gesteht der gestrige Justizminister! ... In Rußland gibt es zur Zeit keinerlei Rechtsgarantien. Sich den Händen der Behörden ausliefern, hieße sich den Händen der Miljukow, Alexinski, Perewersew, den Händen wutschnaubender Konterrevolutionäre ausliefern, für die alle Beschuldigungen gegen uns nur eine einfache Episode im Bürgerkriege sind." Um heute den Sinn der Worte von der "Episode" im Bürgerkriege zu erfassen, genügt es, an das Schicksal Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs zu erinnern. Lenin vermochte vorauszusehen.
Während die Agitatoren des feindlichen Lagers in allen Tonarten erzählten, Lenin sei, bald auf einem Torpedoboot, bald auf einem Unterseeboot, nach Deutschland geflüchtet, beeilte sich die Mehrheit des Exekutivkomitees, Lenin wegen seines Ausweichens vor der Untersuchung zu verurteilen. Indem sie die Frage des politischen Sinns der Pogromstimmung umgingen, in der und derentwegen die Beschuldigung erhoben worden war, traten die Versöhnler als Verfechter der reinen Gerechtigkeit auf. Das war die am wenigsten ungünstige von allen Positionen, die ihnen noch übriggeblieben waren.
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