Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
schreibt: "Die Kommission selbst begriff, daß hierbei nicht die Frage des Verkaufs Rußlands durch Lenin zu untersuchen war, sondern nur die Quellen der Verleumdung." Doch stieß die Kommission mit der eifersüchtigen Rivalität der Justiz- und Konterspionage zusammen, die allen Grund hatten, fremde Einmischung in ihr Handwerk nicht zu wünschen. Allerdings waren die Sowjetorgane bisher stets mit den Regierungsstellen mühelos fertiggeworden, wenn sie die Notwendigkeit hierzu verspürten. Die Julitage jedoch hatten eine ernstliche Verschiebung der Macht nach rechts vollbracht; außerdem eilte die Sowjetkommission nicht im geringsten, eine Aufgabe zu lösen, die den politischen Interessen ihrer Vertrauensleute offensichtlich widersprach. Die ernsthafteren von den Versöhnlerführern, eigentlich nur die Menschewiki, trugen Sorge, ihr formelles Unbeteiligtsein an der Verleumdung sicherzustellen, aber auch nicht mehr. In allen Fällen, wo einer direkten Antwort nicht auszuweichen war, grenzten sie sich mit einigen Worten von den Verleumdern ab; doch rührten sie keinen Finger, den vergifteten Dolch abzuwenden, der über dem Haupt der Bolschewiki schwebte. Ein populäres Beispiel solcher Politik gab einst der römische Prokonsul Pilatus. Konnten sie denn auch anders handeln, ohne sich untreu zu werden? Nur die Verleumdung gegen Lenin hat in den Julitagen einen Teil der Garnison von den Bolschewiki abgestoßen. Würden die Versöhnler einen Kampf gegen die Verleumdung aufgenommen haben, das Bataillon des Ismajlowski-Regiments hätte, wie anzunehmen ist, den Gesang der Marseillaise zu Ehren des Exekutivkomitees abgebrochen und wäre in die Kasernen, wenn nicht zum Kschessinskaja-Palais zurückgekehrt.
In Übereinstimmung mit der Gesamtlinie der Menschewiki hielt es Innenminister Zeretelli, der die Verantwortung für die bald darauf erfolgten Verhaftungen der Bolschewiki übernahm, für nötig, allerdings unter dem Druck der bolschewistischen Fraktion, in der Sitzung des Exekutivkomitees zu erklären, er persönlich verdächtige die bolschewistischen Führer der Spionage nicht, beschuldige sie aber der Verschwörung und des bewaffneten Aufstandes. Als am 13. Juli Liber eine Resolution einbrachte, die die bolschewistische Partei eigentlich außer Gesetz stellte, fand er den Vorbehalt notwendig: "Ich selbst halte die gegen Lenin und Sinowjew gerichtete Beschuldigung für völlig unbegründet." Erklärungen solcher Art nahmen alle schweigend und finster auf: den Bolschewiki erschienen sie würdelos ausweichend, den Patrioten überflüssig, da unvorteilhaft.
Bei seinem Auftreten in der Vereinigten Sitzung beider Exekutivkomitees am I7. sagte Trotzki: "Es wird eine unerträgliche Atmosphäre geschaffen, in der ihr ebenso ersticken werdet wie wir. Man schleudert schmutzige Beschuldigungen gegen Lenin und Sinowjew." (Eine Stimme: "Mit Recht." Lärm. Trotzki fährt fort:) "Es gibt hier im Saale, wie sich herausstellt, Menschen, die mit den Beschuldigungen sympathisieren. Hier gibt es Menschen, die sich an die Revolution nur herangeschmiert haben." (Lärm. Die Glocke des Vorsitzenden braucht lange zur Wiederherstellung der Ruhe.) "... Lenin hat für die Revolution dreißig Jahre gekämpft. Ich kämpfe zwanzig Jahre gegen die Unterdrückung der Volksmassen. Und wir können nur Haß gegen den deutschen Militarismus hegen ... Auf diesem Gebiet gegen uns einen Verdacht aussprechen kann nur jemand, der nicht weiß, was ein Revolutionär ist. Ich war vom deutschen Gericht zu acht Monaten Gefängnis verurteilt für den Kampf gegen den deutschen Militarismus ... und das wissen alle. Erlaubt keinem hier in diesem Saale auszusprechen, daß wir Mietlinge Deutschlands seien, denn dies ist nicht die Stimme überzeugter Revolutionäre, sondern die Stimme der Niedertracht." (Beifall.) So ist die Episode in der antibolschewistischen Presse jener Zeit dargestellt, - die bolschewistische war bereits verboten. Es muß jedoch erklärt werden, daß der Beifall nur aus dem kleinen linken Sektor kam; ein Teil der Deputierten brüllte haßerfüllt, die Mehrheit schwieg sich aus. Doch niemand, auch nicht einer von den offenen Agenten Kerenskis, bestieg die Tribüne, um die offizielle Version der Beschuldigung zu unterstützen oder auch nur indirekt zu decken.
In Moskau, wo der Kampf zwischen Bolschewiki und Versöhnlern überhaupt milderen Charakter trug, um im Oktober um so erbittertere Formen anzunehmen, verfügte am 10. Juli die Vereinigte Sitzung
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