Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
Enthüllungen Jermolenkos zu erinnern. Er wurde eiligst aus Blagowestschensk herbeigerufen, konnte aber infolge mangelnder Einbildungskraft, trotz allen Ermunterungen, seinen ursprünglichen Angaben kein Wort hinzufügen. Zu dieser Zeit arbeiteten indes Justiz und Konterspionage bereits mit Volldampf. Über eventuelle verbrecherische Verbindungen der Bolschewiki wurden Politiker, Generale, Gendarmen, Kaufleute und eine Menge Personen verschiedenster Berufe vernommen. Die soliden zaristischen Gendarmen verhielten sich bei diesen Untersuchungen bedeutend vorsichtiger als die nagelneuen Vertreter der demokratischen Justiz! "Über Berichte", schrieb der ehemalige Chef der Petrograder Ochrana, der würdige General Globatschew, "wonach Lenin in Rußland zu dessen Schaden und für deutsches Geld gearbeitet habe, verfügte die Ochrana, mindestens während meiner Dienstzeit, nicht." Ein anderer Geheimpolizist, Jakubow, der Chef der Konterspionageabteilung des Petrograder Militärbezirkes, sagte aus: "Mir ist über Verbindungen Lenins und seiner Gesinnungsgenossen mit dem deutschen Generalstab nichts bekannt, auch weiß ich nichts über die Geldmittel, die Lenin zur Verfügung standen." Aus den Organen der zaristischen Geheimpolizei, die den Bolschewismus von seinen ersten Anfängen an überwacht hatten, war nichts Nützliches herauszupressen.
Indes, wenn Menschen, besonders mit der Regierungsmacht bewaffnete, lange suchen, finden sie schließlich doch etwas. Irgendein S. Burstein, seinem offiziellen Stande nach Kaufmann, öffnete der Provisorischen Regierung die Augen über die "deutsche Spionageorganisation in Stockholm, mit Parvus an der Spitze", dem bekannten deutschen Sozialdemokraten russischer Herkunft. Nach Bursteins Angaben stand Lenin durch die polnischen Revolutionäre Ganetzki und Koslowski mit dieser Organisation in Verbindung. Kerenski schrieb später: "Sehr ernsthafte Angaben, aber leider nicht vom Gericht, sondern von Geheimagenten herrührend, sollten mit der Ankunft Ganetzkis in Rußland, der an der Grenze zu verhaften war, eine völlig unwiderlegbare Bestätigung erhalten und sich in ein zuverlässiges Gerichtsmaterial gegen den bolschewistischen Stab verwandeln." Kerenski wußte im voraus, was sich in was zu verwandeln hatte.
Die Angaben des Kaufmanns Burstein betrafen geschäftliche Operationen Ganetzkis und Koslowskis zwischen Petrograd und Stockholm. Dieses Geschäft zur Kriegszeit, das sich wahrscheinlich bei der Korrespondenz einer Decksprache bediente, hatte keine Beziehung zur Politik. Die bolschewistische Partei hatte keine Beziehung zu diesen Geschäften. Lenin und Trotzki hatten Parvus, der gute Geschäfte mit schlechter Politik zu verbinden verstand, öffentlich entlarvt und die russischen Revolutionäre aufgefordert, alle Beziehungen zu ihm abzubrechen. Wer hatte aber die Möglichkeit, im Strudel der Ereignisse sich in alledem zurechtzufinden? Eine Spionageorganisation in Stockholm - das klang einleuchtend. Und das Licht, erfolglos angezündet von der Hand des Fähnrichs Jermolenko, entbrannte vom anderen Ende. Zwar stieß man auch hier auf Schwierigkeiten. Der Chef der Konterspionageabteilung des Generalstabs, Fürst Turkestanow, antwortete auf die Anfrage des Untersuchungsrichters für besonders wichtige Angelegenheiten, Alexan-drow, daß "S. Burstein eine Person ist, die keinerlei Vertrauen verdient. Burstein stellte den Typus des dunklen Geschäftemachers dar, dem nichts zu schmutzig ist." Aber konnte der schlechte Ruf Bursteins den Versuch vereiteln, Lenins Ruf zu verderben? Nein, Kerenski schwankte nicht, Bursteins Aussagen als "sehr ernsthaft" zu bezeichnen. Die Untersuchung folgte nunmehr den Stockholmer Spuren. Die Enthüllungen des Fähnrichs, der zwei Stäben diente, und des dunklen Geschäftemachers, der "kein Vertrauen verdient", bildeten das Fundament der allerphantastischsten Beschuldigung gegen eine revolutionäre Partei, die das Hundertsechzigmillionen-Volk an die Macht zu stellen sich ai-schickte.
Auf welche Weise war indes das Material der Voruntersuchung in die Presse gelangt, dabei gerade in dem Augenblick, wo die zusammengebrochene Offensive Kerenskis an der Front in eine Katastrophe umzuschlagen begann, die Julidemonstration in Petrograd aber das unaufhaltsame Anwachsen der Bolschewiki offenbarte? Einer der Initiatoren des Unternehmens, Staatsanwalt Bessarabow, erzählte später in der Presse offen: als es sich herausstellte, daß die Provisorische Regierung über
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