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Geschichte der Tuerkei

Geschichte der Tuerkei

Titel: Geschichte der Tuerkei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kreiser
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vor-nationalen zu einer nationalen Gemeinschaft vollzog sich bei einem Teil von ihnen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Als die Verschmelzung der Volksgruppen zu einer türkischen Nation Staatsdoktrin wurde, benutzte man im amtlichen Verkehr anstelle von Kurden das Wort «Bergtürken». Nun sollte der Turkismus den Islamismus als einigendes Band ersetzen. Diesem Projekt stand jedoch die Unterentwicklung des gesamten Ostens, nicht nur der vorherrschend kurdisch besiedelten südöstlichen Provinzen, entgegen. Nur in den größten vier Städten (Erzurum, Malatya, Antep und Diyarbakır) der Region gab es Sekundarschulen, von denen dreiin die Zeit vor dem Weltkrieg zurückreichten, also osmanische Errungenschaften waren. Die Gesundheitsversorgung spottete jeder Beschreibung.
    Die frühe Republik zählte zwischen dem Scheich Said-Aufstand von 1925 über die Ararat-Rebellion (1926–1930) bis zur Dersim-Kampagne von 1937/38 insgesamt 21 (nach einer militärgeschichtlichen Aufstellung 16) größere kurdische Erhebungen. Der größte Teil des Ostens unterstand zwischen 1925 und 1950 dem Ausnahmerecht, bis 1964 war er für Ausländer «verbotene Zone». In den Augen der Kemalisten bildete die von Kurden bewohnte «rebellische Region» (
isyan sahası
) den Schauplatz einer reaktionären Stammesgesellschaft, deren Agas und Scheichs als Sprecher entmachtet und deren Kinder durch Schule und Militärdienst zu jenen Türken werden sollten, die sie nach der herrschenden Doktrin im Grunde bereits waren.
    Die zivilen und militärischen Autoritäten besaßen exakte Kenntnisse von den tatsächlichen ethnischen und ökonomischen Besonderheiten des Raums. Eine von Abdülhaluk Renda nach dem Scheich-Said-Aufstand im Auftrag İnönüs durchgeführte Inspektion unterschied innerhalb der 1.360.000 starken Bevölkerung östlich des Euphrats und südlich der Bingöl-Berge sowie in einigen zu Erzurum und Erzincan zählenden Kreisen drei Muttersprachen: Kurdisch (993.000 Sprecher), Türkisch (251.000) und Arabisch (117.000). Von diesen Menschen beherrschten angeblich nur 100.000
kein
Kurdisch. Renda beklagte in seinem Bericht das geringe Niveau sämtlicher Staatsdiener in der Region, die Gesundheitsdienste seien absolut ungenügend, die Rechtspflege liege völlig darnieder. Die Kurden ließen sich allmählich in den von Armeniern «verlassenen Immobilien» nieder, wobei ihre Bevölkerung ständig anwachse. Aus der Sicht ihrer Angehörigen seien die Oberhäupter der Stämme durchsetzungsfähiger als die staatlichen Organe. Die Kurden entzögen sich dem Militärdienst und der Steuerpflicht. Als Abhilfe schlug er eine sichtbarere Präsenz des Staates vor: Die Behördengebäude und Polizeiwachen müssten die einheimischen Bauwerke überragen (tatsächlich waren die Wohnsitze der führenden Familien weit und breit die einzigen mehrstöckigen, oft festungsartigenSteinbauten der Gegend). Für Beamte müsse ein Ostdienst zur Pflicht werden, Verweigerer sollten nicht befördert werden. Ankara setzte bis zur Ablösung der Volkspartei in der Hauptsache autoritäre Instrumente ein, um die Region zu befrieden und zu turkisieren. In der Fortsetzung des «klassischen» osmanischen
tribal management
wurden aufsässige Stämme, die bis dahin so etwas wie den Status einer rechtlichen Persönlichkeit besaßen, nach Westen verfrachtet. Abweichend von diesem Vorbild sollte man allerdings jetzt, so lauteten die Empfehlungen der Kurden-Berichte, eine Verpflanzung geschlossener Klans oder Stämme vermeiden. Pro Dorf oder Stadtviertel sollte im Sinn eines verfeinerten
Social Engineering
nicht mehr als eine Familie angesiedelt werden.
    Am deutlichsten zeigte sich die Entschlossenheit Ankaras, was die Lösung der «Kurdenfrage» anging, im von Zazaki sprechenden Aleviten bewohnten Dersim (heute Tunceli). Ausgelöst durch einen eher begrenzten Zwischenfall an der 1935 eingeweihten Gahmut-Brücke, bei dem türkische Soldaten in einen Hinterhalt von Rebellen gerieten, entwickelte sich 1937 und 1938 die folgenreichste Operation des Militärs in einer extrem isolierten Region. Aus der Sicht der Regierung war die Provinz eine «Pestbeule», die nur durch entschlossenes Handeln beseitigt werden konnte. Inzwischen steht fest, dass die Zahl der Opfer unter den türkischen Armeeangehörigen verhältnismäßig gering war. Zudem hatte sich nur ein Teil der Stammesangehörigen an Anschlägen auf Wachtposten und Brücken beteiligt. Ankara kam es aber darauf an, Angriffe auf

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