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Geschichte der Tuerkei

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Titel: Geschichte der Tuerkei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kreiser
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der Partei mit Staat und Regierung
de facto
vollzogen. Am 5. Februar 1937 wurden die «Sechs Pfeile» Verfassungsgrundsatz, ab August 1938 wurde die Parteifahne an allen Amtsgebäuden aufgezogen. Das Ergebnis war aber nicht die von Peker und seinen Gesinnungsfreunden angestrebte Parteidiktatur, sondern ein politisches System, bei dem die Partei Teil des staatlichen Apparats wurde. Samet Ağaoğlu, der Verfasser eines «Politischen Tagebuchs» über die Gründung der Demokratischen Partei (siehe S. 80) fasste sein Bild von der Volkspartei dieser Jahre zusammen: «Die Organisation der Republikanischen Volkspartei bestand mehr oder wenigerseit ihrer Gründung aus einer seelenlosen Schablone. Alle politischen Aktivitäten konzentrierten sich auf die
Meclis
-Gruppe und das Präsidium der Partei, welches ausschließlich aus Deputierten bestand. In der Partei herrschte auf diese Weise ein hermetisches Leben wie innerhalb der Disziplin einer religiösen Denomination. Die Befehlskette ging von oben nach unten, Petitionen und Wünsche stiegen in der entsprechenden Reihenfolge nach oben. Innerhalb dieser Hierarchie war der Stand des Generalsekretärs nicht viel einflussreicher als der eines höheren Sekretärs.»
    In den späten 1920er Jahren hatte der Reformismus seinen Elan noch nicht verloren. Der gesetzliche Auftrag der Latinisierung des Schriftwesens von 1928 wurde zügig erfüllt. Ab 1929 mussten die staatlichen Behörden die «türkischen Buchstaben» verwenden. Banken und Unternehmen wurden bald danach gezwungen, sich auf die neue Schrift einzustellen. Zur raschen Alphabetisierung der Massen eröffnete das Bildungsministerium «Nationalschulen» (
Millet Mektepleri
), die prinzipiell von allen Staatsbürgern besucht werden mussten, welche die Lateinschrift nicht beherrschten. Für Analphabeten war ein viermonatiger Kurs vorgesehen; wer die arabische Schrift konnte, musste nur zwei Monate auf der Schulbank sitzen. Die Kurse, die zumeist unter der Leitung von Lehrern der Sekundarschulen, insbesondere der Fächer Französisch und Deutsch, und von höheren Beamten standen, richteten sich an einzelne Gruppen wie Frauen, Gewerbetreibende, Polizisten, aber auch an Strafgefangene. Als 1935 Bilanz gezogen wurde, hatten 1.086.259 Teilnehmer der Grundkurse und 67.896 der Zweimonatskurse ein Abschlusszeugnis erhalten, bei einer Erfolgsquote von 46,4 %. Auch wenn die Reform ein bewusstes «Verbrennen der Schiffe» war, um die Verbindung zu Buchstaben und zur Religion zu lösen (Mete Tunçay), hat sie sich zwar als dauerhaft erwiesen, aber die Verbreitung religiösen Schrifttums in den vergangenen Jahrzehnten eher befördert als behindert.
    Nach der Umstellung der Schrift machte sich Atatürk an eine ebenso beispiellose Sprachreform. Er ordnete an, dass die türkische Nation, die es verstanden habe, ihre Unabhängigkeit zu bewahren,jetzt auch ihre Sprache «vom Joch der fremden Sprachen» befreien müsse. 1932 wurde unter engagierter Beteiligung des Staatsgründers die «Gesellschaft für türkische Sprache» ins Leben gerufen, deren Aufgabe darin bestand, «die Schönheit und den Reichtum des Türkischen herauszustellen und es auf ein Niveau zu heben, das ihm einen würdigen Platz unter den Weltsprachen einzunehmen erlaubt». Die «Authentifizierung» (
özleştirme
) sagte dem erdrückenden arabischen und persischen Anteil im türkischen Lexikon den Kampf an und propagierte die Suche nach Substituten, sei es aus älteren türkischen Sprachschichten, sei es aus dem Fundus der lebenden Dialekte Anatoliens. Trotz einer Unzahl philologisch zweifelhafter, ja grotesker Ersetzungen erwies sich die Sprachreform, nachdem sie in ruhigeres Fahrwasser gekommen war, nicht, wie der britische Turkologe Geoffrey Lewis meinte, als «catastrophic success». Man kann sie, bei allen linguistischen Schwächen, als Nachzüglerin der nationalromantischen Sprachpflege in Ländern wie Deutschland oder Ungarn betrachten. Nach der Annahme eines Familiennamengesetzes (21. Juni 1934) musste jeder Türke bis zum 2. Juli 1936 einen Nachnamen nach europäischem Vorbild wählen. In Mustafa Kamâls (so!) Personalausweis stand jetzt Atatürk («Vater der Türken», «Türkenvater») als Familienname. Die Wahl von Nachnamen mit nichttürkischen Elementen wie armenisch
-yan,
slawisch
-viç
oder griechisch
-pulos
war verboten. Auf der anderen Seite konnte sich ein Israel Kohen umstandslos in İsmail Kan umbenennen.
    Atatürk war bemüht, sowohl die Archäologie

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