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Geschichte der Tuerkei

Geschichte der Tuerkei

Titel: Geschichte der Tuerkei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kreiser
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Dorfschulen wurde ab 1939 kein Religionsunterricht angeboten. Dass es an den progressiven Dorf-Instituten keine Unterweisung in den islamischen Essentials gab, verstand sich von selbst. Die Zahl der wegen «Nichtnutzung» oder «Baufälligkeit» abgerissenen oder umgewidmeten Moscheen ging allein in Istanbul in die Hunderte.
    Die säkularen Reformen vollzogen sich vor dem Hintergrund wachsender internationaler Spannungen. Trotz Roms Beitritt zum Vertragswerk von Montreux im Mai 1938 (siehe S. 62) blieb das expansive Italien eine Hauptquelle der Beunruhigung Ankaras. Nachdem Mussolini Albanien annektiert hatte, das bis Anfang des Jahrhunderts eine osmanische Provinz gewesen war, unterzeichnete die Türkei am 12. Mai 1939 eine Beistandserklärung mit Großbritannien. Refik Saydam, der am 25. Januar 1939 die Nachfolge von Celal Bayar als Ministerpräsident angetreten hatte, erklärte unmissverständlich, man wolle «eine Hegemonie im Mittelmeerraum» verhindern. Noch Ende Juni schloss sich Frankreich diesem Pakt an. Die letzten deutschen Militärberater verließen im November das Land. Allerdings war Ankara nicht an einer Distanzierung von seinem wichtigsten Handelspartner Deutschland gelegen. Die Ernennung Franz von Papens zum Botschafter des Reichs in Ankara im April 1939 ging dem Abschluss des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakts vom 23. August und dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs am 1. September um wenige Monate voraus. Im Januar 1940 schlossen Großbritannien und Frankreich ein Wirtschafts- und Finanzabkommen mit der Türkei, das ein Vorkaufsrecht für das kriegswirtschaftlich wichtige türkische Chrom für die Jahre 1941 und 1942 einschloss. Ein Angebot Churchills, die Türkei mit Stützpunkten und Waffen zu versorgen, wurde von Refik Saydam abgelehnt.
    Im deutsch-türkischen Nichtangriffsvertrag vom 18. Juni 1941, der zehn Jahre gültig sein sollte, verpflichteten sich beide Staaten dazu, «gegenseitig die Integrität und Unverletzlichkeit ihresStaatsgebiets zu respektieren und keinerlei Maßnahmen zu ergreifen, die sich direkt oder indirekt gegen den anderen Vertragspartner richten». Die britisch-türkischen Vereinbarungen wurden dadurch nicht in Frage gestellt. Zu diesem Zeitpunkt hatte Hitler die «Operation Barbarossa» längst vorbereitet. Die Türkei antwortete auf den deutschen Angriff auf die Sowjetunion (22. Juni 1941) mit einer Neutralitätserklärung, die nur unterstrich, was man schon im März in einer sowjetisch-türkischen «Erklärung über volles Verständnis und Neutralität» zum Ausdruck gebracht hatte: Dem Land sollte eine Wiederholung der osmanischen Katastrophe erspart bleiben.
    Schon in den ersten Tagen nach Beginn des deutschen Einmarschs in Russland wurden zwar in der Türkei Stimmen der Pan-Turanisten, die sich unter Atatürk nicht deutlich hatten artikulieren können, laut: Man müsse die Stunde nutzen, um die «versklavten Türken», das heißt die Turkvölker des sowjetischen Imperiums zwischen Wolga, Kaukasus und dem Altai, zu befreien. Zudem förderte die deutsche Seite durch Kriegskredite eine Türkei, die sie sich als südlichen Eckpfeiler der deutschen Weltmacht vorstellte. Das offizielle Ankara hielt sich allerdings von der Versuchung zurück, mit Deutschland durch antisowjetische Propaganda unter den Turkvölkern gemeinsame Sache zu machen.
    Nach dem plötzlichen Tod von Ministerpräsident Saydam am 8. Juli 1942 erklärte sein Nachfolger Şükrü Saraçoglu, der bis 1946 an der Spitze der türkischen Regierung stehen sollte, vor der Nationalversammlung, man sei «mit England verbündet und mit Deutschland befreundet …». Nachdem die 6. Deutsche Armee in Stalingrad ab November 1942 von sowjetischen Truppen eingeschlossen worden war, verstärkten die Westalliierten ihre Anstrengungen, die Türkei auf ihrer Seite in den Krieg zu ziehen. Im Januar 1943 reiste Churchill nach Adana, wo er İnönü während einer geheimen Unterredung in einem Eisenbahnwaggon vor sowjetischen Ansprüchen auf die Meerengen warnte – keine unzutreffende Panikmache, wie sich 1945 erweisen sollte. İnönü lehnte aber eine Abkehr von der Neutralität ab, indem er auf die bedrohliche Nähe deutscher Luftbasen auf demBalkan hinwies. Ende 1943 traf İnönü mit seinem Ministerpräsidenten und Außenminister in Kairo erneut auf Churchill, der dieses Mal mit Roosevelt gekommen war. Der britische Premier bestand jetzt auf einem Kriegseintritt der Türkei noch vor dem 20. Januar 1944 und

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