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Geschichte der Tuerkei

Geschichte der Tuerkei

Titel: Geschichte der Tuerkei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kreiser
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auch immer wieder auftretende Phasen von Konsens charakterisierten fortan die türkische Politik.
    Die gelungene Nachfolgeregelung schien jedenfalls eine geordnete Weiterführung der Entwicklungsprogramme zu ermöglichen. Der zweite Fünfjahres-Industrieplan (1938–1942) sah den Bau einer Zementfabrik in Sivas vor, zudem standen auf der Agenda Kraftwerke, Schiffe und Hafenanlagen. Als Beispiele seien für die Schwerindustrie das Anblasen des ersten Hochofens in Karabük, für den Agrarsektor der Beginn einer eigenen Kunstdüngerproduktion und für das Verkehrswesen die Inangriffnahme einer Bahnlinie von Diyarbakır über Cizre zum Van-See genannt. 1940 erzeugte das Land, dessen Bevölkerung auf fast 18 Millionen angewachsen war, 76 % des Zements, 63 % der Baumwoll-, 83 % der Wollstoffe und 94 % des Zuckers seines Eigenbedarfs.
    Zögerlicher waren die Fortschritte im Presse- und Kommunikationswesen. Der geringe Ausstoß des seit 1936 arbeitenden staatlichen Papierkombinats SEKA in İzmit behinderte die Gründung neuer Periodika. Für die an den Meerengen liegenden Provinzen bedeutete der am 20. November 1940 erklärte Ausnahmezustand, dass die Regierung in Istanbul zu jedem Zeitpunkt oppositionelle Pressestimmen unterdrücken konnte. Allen Blättern war es untersagt, nichttürkische politische Nachrichten mehr als einspaltig zu drucken. 1942 soll die regierungsfreundliche Istanbuler
Cumhuriyet
die Auflage von 40.000 erreicht haben. Die Zahl der Rundfunkteilnehmer lag Ende 1941 bei weniger als 100.000.
    Mitte der 1930er Jahre waren noch 35.000 der 40.000 türkischen Siedlungen ohne Schule. Nur 6091 Lehrer verteilten sich auf 5080 Dorfschulen. Erziehungsminister Hasan Âli Yücel (1897–1961) beharrte gegen die Kritik notorischer Gegner wie Kâzım Karabekir auf seinem Plan, Dorfkinder zu Dorflehrern auszubilden. Das wichtigste Projekt zur ländlichen Entwicklung waren die ab 1940 gegründeten Dorfinstitute (
Köy Enstitüleri
). Dabei handelte es sich um eine Art Agrarkommune, in der Absolventender fünfjährigen Grundschule in Fünfjahres-Kursen unter besonderer Berücksichtigung landwirtschaftlicher, handwerklicher und musischer Kenntnisse auf den Beruf des Dorflehrers vorbereitet wurden. Die letzten von insgesamt 20 Dorfinstituten wurden 1946 gebaut. Bis zu ihrer Schließung durch die Regierung Menderes (1954) bildeten sie 17.251 Lehrer aus, darunter 1308 Frauen.
    Hasan Âli Yücel forcierte auch den Ausbau der seit 1932 bestehenden «Volkshäuser» (
Halk Evleri
), die durch bescheidener ausgestattete «Volkszimmer» (
Halk Odaları
) ergänzt wurden. In den größeren Städten bildeten sie ein Ensemble mit Regierungsgebäude, Stadtverwaltung und Schule, dessen Mittelpunkt häufig ein Atatürk-Denkmal darstellte. Mit ihren Versammlungsräumen und Bibliotheken standen die Volkshäuser in offensichtlicher Konkurrenz zu den Moscheen, die immer weniger jugendliche Beter zählten. Unter unmittelbarer Aufsicht der Volkspartei schufen sie den Rahmen für Kurse in Sprache, Literatur und Geschichte und entfalteten eine beachtliche Museumsund Ausstellungstätigkeit. Bis 1951 entstanden 478 Volkshäuser und 4322 Volkszimmer, von denen freilich eine große Zahl nur spärlich genutzt wurde.
    Schon der Kultursoziologe Ziya Gökalp (1874–1924) hatte angeregt, den arabischen Gebetsruf (
ezan
) in türkischer Sprache zu verkünden. Nachdem im Winter 1932 in mehreren Istanbuler Moscheen Koranlesungen in türkischer Sprache stattgefunden hatten und auch die Formel «Gott ist sehr groß» (
tekbir
) auf Türkisch gesprochen worden war, ordnete das Präsidium für Religionsangelegenheiten am 18. Juli 1932 an, den Gebetsruf an allen Orten auf Türkisch zu sprechen. Ab 1941 wurde die arabische Form allgemein verboten, das Strafmaß für Zuwiderhandlungen auf drei Monate Haft festgesetzt. Die folgenden Jahre lehrten, dass diese Bestimmung eine stärkere Belastungsprobe für das Verhältnis von gläubiger Bevölkerung und Staat darstellte als selbst das Hutgesetz oder die Streichung der Religion aus der Verfassung. Niemand hatte die Muslime gezwungen, beim Gebet einen Hut mit Krempe zu tragen, und die Grundgesetzänderung war «klammheimlich» über die Bühne der Nationalversammlunggegangen. Hier aber wurde an die persönlichsten Glaubensinhalte gerührt, weil sich die Menschen fragten, ob das Pflichtgebet noch gültig sein konnte, wenn es nicht in der seit mehr als einem Jahrtausend gültigen Sprache formuliert war. An den

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