Geschichte der Tuerkei
kurdischen Osten zu. Dort begann die 1978 von Abdullah Öcalan (geb. 1949) gegründete «Kurdische Arbeiterpartei» (
Partiya Karkerên Kurdistan,
PKK), die ursprünglich nur eine unter Dutzenden linken Gruppen war, ab 1984 bewaffnete Anschläge nahe der irakischen Grenze zu verüben. Hohe Militärs verharmlosten zunächst die kurdischen Guerilla-Aktivitäten als «Straßenräuberei» und «Stammesfehden». Aber schon 1986 gingen sie zur Bombardierung von PKK-Stützpunkten im Irak über. Ankara gelang es nicht, die Nachbarländer Syrien und Iran in die Bekämpfung der PKK einzubinden, obwohl diese in beiden Staaten Lager unterhielt und Jahreskonferenzen veranstaltete. Am 19. Juli 1987 wurde im Osten der Ausnahmezustand ausgerufen.
1991 zog mit der «Partei der Arbeit des Volkes» (
Halkın Emek Partisi,
HEP) zum ersten Mal eine kurdische Partei ins Parlament ein. Kurze Zeit später wurde sie jedoch vom Verfassungsgericht verboten, nicht zuletzt weil Abgeordnete darauf bestanden, ihren Eid in kurdischer Sprache abzulegen – eineReaktion auf ein 1983 in Kraft getretenes Sprachverbotsgesetz, das bis dahin formell Gültigkeit hatte. Nachfolgend traten weitere kurdische Parteien wie die DEP, ÖZDEP oder HADEP auf, deren Schicksal sich indes unwesentlich von dem der HEP unterschied.
Bei den Nachfolgern der liberal-konservativen Volksparteien war die Lage zunächst unübersichtlich. Während Süleyman Demirel mit Politikverbot belegt war, wirkte als Vorsitzender der «Partei des rechten Weges» (
Doğru Yol Partisi,
DYP) Hüsamettin Cindoruk, ein altgedienter DP- und AP-Politiker, der allgemein als Strohmann Süleyman Demirels betrachtet wurde. 1991 konnte der reaktivierte Demirel eine Koalitionsregierung mit der SHP unter İsmet İnönüs Sohn Erdal, einem ehemaligen Physikprofessor, bilden. Nach Özals Tod bewarb er sich erfolgreich um die Nachfolge im höchsten Staatsamt. Für alle Beteiligten überraschend wurde die Wirtschaftsprofessorin Tansu Çiller (geb. 1946) zur DYP-Vorsitzenden und Ministerpräsidentin des fortbestehenden Bündnisses gewählt. Çiller führte nach der Koalition mit der SHP, die sich ab Februar 1995 wieder den Namen der alten CHP zulegte, noch zwei weitere Regierungen in dieser Konstellation. Als Stellvertretende Ministerpräsidentin trat sie danach in Necmettin Erbakans sogenannte
Refahyol
-Regierung ein. Sie sah wie Turgut Özal den vorherrschenden Protektionismus als größten Hemmschuh für das Wachstum.
Necmettin Erbakan gelang es am 28. Juni 1996, die 54. Regierung der Republik zu bilden. Seine Wohlfahrtspartei war 1994 aus den Kommunalwahlen mit 19,1 % als zweitstärkste Partei hervorgegangen und hatte die Bürgermeisterämter in Istanbul und Ankara sowie 27 weiteren Provinzhauptorten erobert. 1995 war sie mit nur 21,4 % sogar die stärkste der im Parlament vertretenen Parteien. Seine Koalition mit der deutlich jüngeren, ihre US-Jahre nicht verleugnenden Tansu Çiller war nicht weniger bizarr als sein einstiges Bündnis mit dem linken Intellektuellen Ecevit im Zypernjahr 1974 (siehe S. 96f.), zumal er im Wahlkampf als ausdrücklicher Verächter der Parteiendemokratie aufgetreten war: «In diesem Land gibt es nicht zwölf, sondern zwei Parteien: die der Wahrheit und die des Unglaubens. Alle anderengelten als Knechte der Ungläubigen.» Als Ministerpräsident konnte er das Militär nicht darin hindern, Vereinbarungen mit Israel zu treffen, wie etwa über die Wartung von F-4 Phantom-Jägern. Auch vermied er es, den Forderungen kurdischer Abgeordneter seiner eigenen Partei nach kulturellen Minderheitenrechten nachzugeben. Wohl nicht unter Erbakans Ägide, aber sicher mit seiner Zustimmung, wurde die Armee zum Jahreswechsel 1996/97 durch eine sogenannte «Jerusalem-Nacht» in der Ankaraner Vorstadt Sincan herausgefordert. Dort hatte der Botschafter Irans auf Einladung des Bürgermeisters an einer Veranstaltung teilgenommen, die zur Wiedereroberung Jerusalems aufrief. Als der RP-Justizminister den inzwischen inhaftierten Bürgermeister im Gefängnis besuchte, verlor er sein Abgeordnetenmandat und erhielt für fünf Jahre Politikverbot.
Am 28. Februar 1997 kündigte der Nationale Sicherheitsrat «Maßnahmen zur Bekämpfung der Reaktion» an. Diese im Nachhinein als «postmoderner Putsch» (
postmodern darbe
) geläufıge Aktion zielte auf eines der wichtigsten Projekte des Ministerpräsidenten. Erbakan plante die «Lyzeen für Vorbeter und Prediger» (
İmam Hatip Lisesi,
İHL) mit
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