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Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)

Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)

Titel: Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Osterhammel , Emily S. Rosenberg , Akira Iriye
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lateinamerikanischen und angloamerikanischen Pazifikküsten.[ 50 ]
    Die Verstärkung des Nationalismus im späten 19. Jahrhundert in den beiden komplementären Spielarten bewaffneter Nationalstaaten und expansionistischer chauvinistischer Ideologien hatte weitreichende Konsequenzen im Hinblick auf Emigration – Entlassung aus der Mitgliedschaft, Vertreibung – und Immigration – Zuzugserlaubnis und erzwungene Assimilierung. Viele Staaten mit einem relativen Bevölkerungsüberschuss, das heißt einer erheblichen Zahl von Männern und Frauen, die keine existenzsichernde Arbeit fanden, waren froh, ein solches Potential für militante gesellschaftliche Veränderungen los zu sein. Einige legten Männern, die, so wurde postuliert, verfügbar sein sollten, um gegebenenfalls auf dem Schlachtfeld für ihr Land zu sterben, Hindernisse in den Weg. Europäische Staaten mit ansässigen «Minderheitskulturen» beschleunigten die Auswanderung von Angehörigen derselben, indem sie Bildungsangebote in anderen als der Mehrheitssprache einschränkten, die wirtschaftliche Entwicklung von Randregionen vernachlässigten und keinen gleichberechtigten Zugang zu staatlichen Institutionen und Arbeitsmärkten schufen. Mit immer lauter werdenden Forderungen nach Selbstbestimmung unter den Völkern des Balkans, des geteilten Polen und des westlichen Zarenreichs begann zudem die Verfolgung von Menschen unerwünschter Religionszugehörigkeit wie Juden in Russland oder unerwünschter Kultur wie Slowaken in Ungarn, oder auch ihre Deportation: Bevölkerungsgruppen, die dem Konstrukt monokultureller Nationalstaaten nicht entsprachen, mussten beseitigt werden. Solche staatliche Gewalt wurde «ethnische Säuberung» einer nationalen Heimstatt genannt, auch wenn es keinen Grund für die Annahme gibt, monokulturelle Nationen wären «reiner» als multikulturelle Gesellschaften. Einige Staaten, die über ihre territorialen Grenzen hinaus ausgriffen, benutzten «ihre» emigrierten Staatsangehörigen als Brückenkopf für die ökonomische und kulturelle Durchdringung aufnehmender Gesellschaften. Solche instrumentalisierten Menschen wurden in Kriegszeiten zu «feindlichen Ausländern», die interniert oder deportiert werden sollten. «Das Wachstum des modernen Nationalstaates brachte nicht nur die Benennung bestimmter Personen als Volksfeinde mit sich, sondern auch die Vertreibung maßgeblicher Gruppen, für die der Staat keine Verantwortung übernehmen wollte oder konnte.» Der Erste Weltkrieg «schulte die neuen Meister» nationalstaatlicher Apparate: «Zivilisten konnten zu gefährlichen Feinden werden […], es war am besten, unerwünschte Gruppen hinauszuwerfen». Unter solchen Bedingungen half ein Fortziehen aus eigenem Antrieb als «freie» Menschen zu überleben.[ 51 ]
    Auch in den aufnehmenden Gesellschaften begannen Migranten, denen unter dynastischer Herrschaft ein anderer Status zugeschrieben wurde, wie Andere behandelt und ausgegrenzt zu werden. Eine Ausnahme ist die Behandlung von Neuankömmlingen aus Europa in Lateinamerika, wo sie aus rassischen Gründen als erwünschter galten als die ansässigen Ureinwohner, und in Australien, wo sie gebraucht wurden, um das Land wirtschaftlich voranzubringen. Zuwanderungsrestriktionen schlossen zunächst diejenigen aus, die durch die Hautfarbe identifiziert werden konnten und die genetisch als «Rasse» konstruiert wurden, das heißt als «minderwertig». Die Ghettoisierung von Juden und die Ausgrenzung von Asiaten wurden die Prototypen. Als Nächstes agitierten angelsächsische und teutonische Ideologen, bestärkt durch den sogenannten wissenschaftlichen Rassismus, für den Ausschluss der dunkleren oder olivfarbenen (mediterranen) «Rassen» Europas, der Ost- und Südeuropäer sowie der Iren, die, kolonisiert und katholisch, weniger als «weiß» waren. Ab den 1880er Jahren unterlagen Neuankömmlinge und ansässige «Minderheiten» einem Assimilationsdruck, sei es dem Zwang zur Amerikanisierung, Kanadisierung, Germanisierung, Russifizierung oder Austrianisierung. Die Waliser und Schotten waren schon Jahrhunderte zuvor anglisiert worden. Dieser Druck veranlasste frühere Migranten, denen unter dem anders gearteten gesellschaftlich-strukturellen Einbeziehungsregime des 18. Jahrhunderts das Recht gewährt worden war, ihre Religion zu praktizieren und ihre Sprache zu sprechen – Gruppen wie die Mennoniten im Zarenreich zum Beispiel –, im Rahmen sekundärer Migrationen in flexiblere Gesellschaften

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