Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)
generationenübergreifender Gemeinschaften erklären. In einem zweiten Schritt legt die Migrationsroute Rahmen für die anschließende Eingliederung und Akkulturierung fest. Migranten, die aus freien Stücken in einem Rahmen von Informationsflüssen und etablierten Migrationskorridoren aufbrechen, haben eine bessere Chance, sich an die Anforderungen der aufnehmenden Volkswirtschaft anzupassen, als diejenigen, die vertraglich gebunden oder unter Zwang aufbrechen. Wieder sind Machtbeziehungen äußerst wichtig, und selbst «freie» Migranten bewegen sich unter strukturellen Zwängen. Schließlich müssen die aufnehmenden Gesellschaften genauso umfassend und mit derselben Differenzierung in landesweit, regional und lokal studiert werden. Wenn Migration innerhalb von oder zu Kolonien erfolgt, wirken sich Hierarchien der Hautfarbe («Rasse») und Ansichten der Kolonisatoren über die Körper der Kolonisierten auf Grade der Ausbeutung oder der Handlungsfähigkeit aus. Migrationen stellen die Auffassung von Staaten als «Container» in Frage, und im Unterschied zu nicht-wandernden Gebietsansässigen lernen Migranten mehr als eine Lebensweise kennen: Sie sind bewandert.
5. MIGRATIONEN IM GEFOLGE VON KRIEG UND DEKOLONISATION
Im Gefolge des Zweiten Weltkriegs entstanden zwei größere Migrationen. Da war erstens die Migration von Flüchtlingen, Kriegsgefangenen, Zwangsarbeitern, imperialen Kolonisatoren-Migranten aus der Vorkriegszeit, und Soldaten, die repatriiert oder umgesiedelt werden mussten, wenn ihre «Heimat» bzw. ihr «Heim» zerstört worden war oder neue Nachkriegsregierungen eine Rückkehr als nicht wünschenswert erscheinen ließen oder, vielleicht, sogar lebensgefährlich machten. Hinzu kommt zweitens die Migration von Arbeitern, die benötigt wurden, um zerstörte Volkswirtschaften wiederaufzubauen. Zwei weitere wichtige Migrationen waren die Konsequenz von Verfolgungen: die Migration von Menschen jüdischen Glaubens nach Israel und die Flucht der Palästinenser. Schließlich umfassten die Nachkriegsmigrationen auch zahlreiche Wanderungen, die eine Folge der Dekolonisation waren, sowie Zwangswanderungen von Arbeitskräften, um den entsprechenden Bedarf des neuen Regimes in Südafrika zu decken.
Repatriierungen, Ausweisungen, Umsiedlung
Nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki und der Kapitulation Japans begann die Internierung und Repatriierung von 6,5 Millionen Japanern im Ausland. Die Bevölkerung von Karafuto (Südsachalin) war zu 93 Prozent japanisch geworden; unter den 132.000 Einwohnern von Nan’yo waren 81.000 Japaner; in Kontinentalchina waren nur wenige japanische Migranten geblieben, auf Taiwan stellten sie 6 Prozent der Bevölkerung; in Korea lebten rund 800.000 Japaner. In Europa, wo die Alliierten im Mai 1945 von insgesamt 18 Millionen displaced persons ausgingen, brachen viele zu Fuß auf und wanderten Hunderte von Kilometern in ihre alte Heimat – wie es auch chinesische Flüchtlinge taten. In beiden Makroregionen war die Repatriierung bis Ende 1946 abgeschlossen, wobei die früheren «Heimstätten» oftmals in Trümmern lagen. Einige blieben allerdings in Lagern: Juden ohne Heimatort, Balten und Ukrainer, die mit den deutschen Besatzern kollaboriert hatten, Osteuropäer, die nicht ins stalinistische Russland oder in andere gerade erst kommunistisch gewordene Staaten zurückkehren wollten. Nicht-zurückkehrende Heimatvertriebene erhielten nicht die Staatsbürgerschaft des Landes, in dem sie sich befanden, in Europa wurden sie «staatenlos», in Japan waren sie «Staatsbürger von Drittländern».
Aus Japan kehrten mehr als eine Million Koreaner nach Südkorea zurück, weitere 100.000 nahmen ein Repatriierungsangebot Nordkoreas an, während diejenigen, die in Japan blieben, fortgesetzter Diskriminierung ausgesetzt waren. Zu Beginn des Krieges litten japanische Migranten in den Vereinigten Staaten und Kanada und ihre dort geborenen Kinder und Enkel unter dem Krieg, obgleich dieser auf einem anderen Kontinent stattfand. Nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor wurden die Migranten, die Japan ganz bewusst den Rücken gekehrt hatten, zu «feindlichen Ausländern». Sie wurden als eine militärische Bedrohung porträtiert, waren permanenten rassistischen Schikanen ausgesetzt, und ihre bescheidene Habe konnte ihnen jederzeit straflos von ihren europäisch-amerikanischen Nachbarn weggenommen werden. Die meisten von ihnen wurden umgesiedelt. Die Sicherheitsbürokraten Kanadas
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