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Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)

Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)

Titel: Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Osterhammel , Emily S. Rosenberg , Akira Iriye
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Territorium zu etablieren und eine Regierung einzusetzen – war von der Französischen Revolution und dann von den napoleonischen Kriegen auf die europäische Tagesordnung gesetzt worden. Etwa in der Mitte seiner Regierungszeit rief Napoleon I., Kaiser der Franzosen, Gegner auf den Plan, welche die Sprache des nationalistischen Widerstands sprachen. Die spanischen Partisanen der ins Exil vertriebenen Bourbonendynastie, die Konstitutionalisten von Cádiz und die Volksmilizen oder die ehemaligen Bourbonensoldaten in den Guerillabewegungen, die auf der Iberischen Halbinsel entstanden, waren allesamt Ausdruck dieses neuen Nationalismus. Der Philosoph Johann Gottlieb Fichte, der in Berlin unter französischer Besatzung lehrte, behauptete, sich an eine «deutsche Nation» zu wenden. Die italienischen Autoren, die nach der politischen Unabhängigkeit ihrer Territorien strebten, plädierten nunmehr für die Reform nicht nur der österreichischen Lombardei oder Neapels, sondern Italiens als politischer Einheit. Einige intellektuelle und militärische Anführer aus Preußen und kleineren Staaten träumten nicht einfach von einem Wiederaufblühen Preußens (auch wenn dies am Beginn ihrer Bestrebungen gestanden haben mochte) und nicht nur von einer Wiederbelebung der konföderalen Struktur Mitteleuropas, sondern von einer deutschen Nation. Die Amerikaner, die 1812 gegen die Briten in den Krieg zogen und Kanada oder ein paar Jahre später Kuba annektieren wollten, schlugen einen neuen Akkord nationaler Aufsässigkeit an.
    Natürlich reichten diese neu aufkommenden Ideen weiter zurück. Vorstellungen vom Staat als internationalem Akteur, als Macht, die sich aus der Kontrolle der Kirche befreien müsse, gab es seit der Renaissance in großer Zahl. Das 18. Jahrhundert erneuerte Vorstellungen vom Volk als lebendigem Organismus, der kollektiv Sprachen entwickelt, zu epischen Gedichten angeregt (im berühmten Fall der angeblichen schottischen Gesänge «Ossians» handelte es sich schlicht um eine Erfindung) und Volkserzählungen und Märchen gesammelt hatte; am bekanntesten sind bis heute die in nach-napoleonischer Zeit zusammengetragenen Märchen und Sagen der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm, die aufgrund ihrer demokratischen Ansichten auch politisch verfolgt wurden. Die romantische Empfindsamkeit dieser Zeit verstärkte nur noch die Attraktivität dieser neuen Gesinnung, die durch Literatur, Poesie und Oper ebenso genährt werden konnte wie durch inspirierende Beredsamkeit. Studenten und andere Aktivisten gründeten in den 1830er Jahren Vereinigungen namens Junges Deutschland, Giovine Italia oder Young America Movement. In Deutschland waren die Studenten über die repressive Zensur verärgert, die Metternich in den Karlsbader Beschlüssen von 1819 dem Deutschen Bund verordnet hatte, und hatten schon zwei Jahre zuvor den 300. Jahrestag von Martin Luthers Angriff auf die Autorität der katholischen Kirche symbolträchtig auf der Wartburg gefeiert, also dem thüringischen Schloss, wo Luther Zuflucht gefunden hatte. 1832 hielten sie dann eine große patriotische Versammlung auf dem Hambacher Schloss ab.[ 74 ]
    Es war freilich leichter, von Nationen zu träumen, als tatsächlich welche zu schaffen. Der italienische Versuch scheiterte 1848 ebenso wie auch ein Jahr später. Theoretiker hatten konkrete Vorschläge gemacht, wie der Papst zum Präsidenten einer italienischen Föderation werden könnte; andere hatten einfach eine Föderation gefordert. Der junge König von Sardinien, Karl Albert, glaubte, er könnte sich an die Spitze der revolutionären Umtriebe setzen, welche die italienischen Städte unter österreichischer Herrschaft erfasst hatten; er stellte eine Armee auf, überquerte den Grenzfluss zur Lombardei und wurde vernichtend geschlagen. Die Rebellen in Venedig hatten mehr Glück, sie konnten eine Republik ausrufen und diese innerhalb der Stadt bis August 1849 verteidigen.
    Doch die Habsburgermonarchie erholte sich im Herbst 1848 von den Rückschlägen, als der junge Kaiser Franz Joseph, angeleitet von entschlossenen politischen Ratgebern aus der Aristokratie und aus den Reihen der Generäle, den Thron bestieg. Österreich war nach wie vor groß und mächtig, es kontrollierte die wichtigen Flussrouten von Nord nach Süd mitsamt den Befestigungsanlagen und war nicht bereit, die Provinzen, die es schon vor dem Wiener Kongress besessen hatte, aufzugeben. Im Frühjahr 1849 griff Karl Albert erneut zu den Waffen, erlitt wieder eine

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