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Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)

Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)

Titel: Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Osterhammel , Emily S. Rosenberg , Akira Iriye
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einigen Orten zwar Gruppierungen nach dem Muster der gerade entstehenden sozialdemokratischen Parteien in Europa, schlossen sich jedoch überwiegend den bereits vorhandenen Alternativen an, also den Parteiorganisationen der Demokraten in den Städten des Nordens oder den radikaleren Strömungen der Populisten im Westen. Gleichwohl versuchten Reformer aus der städtischen Mittelschicht, die vorwiegend aus Nordeuropa stammten, ihre Stellung in den Städten zu festigen, indem sie den Wahlmaschinen die Regierungsgeschäfte aus der Hand nahmen und professionellen Stadtverwaltern übertrugen. Ende des 19. Jahrhunderts beruhte die Politik in den USA auf der Vereinbarung eines Gleichgewichts: Während die Republikaner üblicherweise eine schwache nationale Regierung stellten, die Schutzzölle verhängte, durften die Demokraten die Politik in den Industriestädten und das Reservoir der weißen Wähler im Süden für sich nutzen. In den 1890er Jahren stellten sich Farmer im Süden und Westen zwar gegen diesen Kompromiss, doch es gelang ihnen nicht, ihn aus den Angeln zu heben.
    Rassentrennung herrschte auch in der neuen Südafrikanischen Union, wo die herrschenden Weißen nur eine Minderheit der Bevölkerung stellten. Faktisch endete der Burenkrieg, in dem die Truppen der weißen südafrikanischen Bergbauinteressen mit Unterstützung von mehr als 100.000 britischen Soldaten gegen die agrarisch ausgerichteten Burenrepubliken kämpften, mit einem impliziten Kompromiss, der zwischen 1902 und 1910 ausgearbeitet wurde. Die Afrikaans sprechenden Republiken wurden gezwungen, die Eingliederung in eine britische Südafrikanische Union und eine aktive Politik britischer Kolonialverwaltung unter Alfred Milner zu akzeptieren. Doch die Briten ließen den Burenrepubliken ein hohes Maß an Selbstverwaltung und unternahmen nichts, um das System der politischen oder gar der sozialen Rassentrennung in Frage zu stellen, das diese Republiken aufgebaut hatten. In der Kapkolonie machten die Weißen weniger als ein Viertel der Gesamtbevölkerung aus, stellten jedoch 85 Prozent der Wahlberechtigten; in Natal, wo die Weißen nur acht Prozent der Bevölkerung in einer einstmals von den Zulu beherrschten Region stellten, lag ihr Anteil an den Wählern sogar bei 99 Prozent. Der Irrglaube, die Buren hätten an einer stabilen Demokratie Interesse, und die Bedeutung Südafrikas für den britischen Krieg gegen die deutschen Kolonialtruppen nach 1914 (sowie die persönliche Rolle, die der Burenführer Jan Smuts spielte) erschwerten es London, den rassistischen Staat der Südafrikaner in Frage zu stellen, nicht zuletzt weil viele Engländer die zugrunde liegenden Prämissen rassischer Minderwertigkeit durchaus teilten.[ 139 ]
    Segmentierte Regime bildeten einen Typ impliziter Verfassung. Andere Formen impliziter Verfassungsvereinbarungen öffneten Staaten dem umfassenden Einfluss von außen – militärisch, wirtschaftlich, pädagogisch, kulturell. Mit dem Begriff des Semikolonialismus hat man die «Schutzrechte» zu beschreiben versucht, welche die europäischen Mächte in China besaßen, aber diese Autorität konnte auch weniger formal festgelegt sein.[ 140 ] In den großen Republiken Lateinamerikas spielte sich der ritualisierte Parteienwettstreit unter den Eliten zwischen denjenigen ab, die Handels- und Finanzbeziehungen zu ausländischen Kreditgebern, insbesondere Großbritannien, befürworteten, und denen, die an der traditionellen Macht von Militär, Kirche und Großgrundbesitzern festhalten wollten. Die Ausweitung von Exportgütern – Kaffee in Brasilien, Rindfleisch und Weizen in Argentinien, Bodenschätze in den Anden – stärkte die Liberalen und ermöglichte eine relativ harmonische Teilung von Macht und Einfluss nach Bürgerkrieg und Gewalt. Die neue Republik Brasilien (und mit ihr die Abschaffung der Sklaverei 1889) profitierte vom Kaffeeboom und davon, dass man sich auf ein hochgradig dezentralisiertes Föderalsystem verständigt hatte. Erst in der Zwischenkriegszeit, als die Preise für die Exportgüter fielen und neue Staatsführer die politische Basis zu verbreitern suchten (ob nun um die Arbeiter oder die indigenen Völker), brach dieses Gleichgewicht unwiderruflich zusammen und Populisten, oftmals aus dem Militär, gelangten als starke Männer nach oben.
    Nachdem das allgemeine Wahlrecht für Männer eingeführt worden war, wurde die Regulierung der Wirtschaft immer dringlicher. Gewerkschaften und Vereinigungen der Arbeiterklasse waren in

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