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Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)

Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)

Titel: Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Osterhammel , Emily S. Rosenberg , Akira Iriye
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zwar keine größere weiße Bevölkerung, aber das Erbe vielfältiger staatlicher Strukturen aus der Zeit vor den Briten; das Scheitern des Aufstands von 1857/58 (der nie als wirklich nationale Rebellion propagiert wurde) sorgte jedenfalls dafür, dass die nationale Herausforderung bis in die Zeit nach dem Weltkrieg relativ schwach ausgeprägt blieb. Der Indische Nationalkongress hatte zwar eine langfristige Vision, verfolgte jedoch kurzfristig eine Praxis der Anpassung und der schrittweisen Einbeziehung in lokale Organe, insbesondere im Justizbereich. Es war eine Ironie des Britischen Empire, dass die Krönung eines neuen Monarchen 1910 mit größtem Pomp in Neu-Delhi gefeiert werden konnte, während zu Hause quasi nebenan irische Gruppierungen sich der Gewalt zuwandten.
    Repräsentation war überdies an sich schon eine komplexe Angelegenheit, unabhängig davon, einen wie großen Teil der Gesellschaft sie umfasste. Die räumliche Metapher, die davon ausging, «oben» versuche ein Staat auf die Gesellschaft «unten» zu reagieren, war zu simpel und irreführend. Politische Forderungen flossen nicht einfach «aufwärts» von der Gesellschaft zum Staat. Ambitionierte Reformer dachten darüber nach, wie Staaten, die selbst im 19. Jahrhundert transformiert worden waren, ihrerseits nun die Gesellschaft verändern sollten – also sie regulieren, entwickeln, verbessern und neu gestalten sollten. Die im 19. Jahrhundert entstandenen Staaten hatten ein besonderes Verhältnis zur technologischen Moderne; sie benötigten Hinterlader und Schnellfeuergewehre sowie schwerere Kanonen; sie brauchten Schnelligkeit (Eisenbahnen) und rasche Kommunikation (Telegraf, Seekabel, schließlich den Rundfunk). Jenseits ihres Bedarfs für die materielle Infrastruktur mussten Staaten ihren Bürgern eine Ausbildung verschaffen und deren Gesundheit sowie Vitalität verbessern, und sei es durch das neue Konzept der «Eugenik».
    Der Staat des späten 19. Jahrhunderts war somit keine Institution, die auf ein statisches Gleichgewicht ausgelegt war, er konnte es auch gar nicht sein. Denn er musste auch für die Entwicklung der zivilen Ökonomie sorgen, nicht nur für die des Militärs. In Großbritannien und später in den USA konnten die Regierungen dabei eher auf die inhärenten Kräfte der Zivilgesellschaft als auf staatliche Lenkung setzen. Die Amerikaner betrachteten ihre Wirtschaftsunternehmen und ihre vielfältigen Vereinigungen als Nutznießer wie als Quelle der Modernisierung. Tatsächlich aber bedeuteten die Schutzzölle und die Landvergabe an Eisenbahngesellschaften und Siedler (die dann Eisenbahnkunden sein würden) eine beträchtliche staatliche Förderung der Wirtschaftsentwicklung. Nicht viel anders sah es in dieser Hinsicht in Kanada aus. Frankreich und später dann Deutschland, Japan und Russland hatten das Gefühl, in höherem Maße eingreifen zu müssen, begannen jedoch zu unterschiedlichen Zeitpunkten damit: die Franzosen vor ihrer großen Revolution, die Deutschen und Japaner Mitte des 19. Jahrhunderts, die Russen an dessen Ende – dafür aber rasanter und eindrucksvoller als andere Staaten. Russland, das noch bis 1905 eine Autokratie war, machte sich an den Bau der Transsibirischen Eisenbahn, ein Projekt, dessen Kosten beim Adel auf Widerstand stießen, während es von denjenigen, die den japanischen Einfluss in Korea fürchteten, mit Ungeduld verfolgt wurde. Der Monarch gab dem Druck nach und ließ seinen Finanzminister Witte nur noch eher protokollarische Aufgaben erfüllen (1903 wurde dieser dann endgültig entlassen), berief ihn aber 1905 zum Regierungschef, der die Folgen des Krieges gegen Japan und der revolutionären Agitation nach seiner Entlassung bewältigen sollte. Gelang die Modernisierung nicht, konnte das Territorien kosten und die Souveränität aushöhlen, selbst wenn eine Kolonialisierung im eigentlichen Sinne vermieden wurde, wie sich sehr schön am Beispiel Chinas zeigt: Das Land musste extraterritoriale Stützpunkte gestatten, in denen die westlichen Mächte ihre eigene lokale Rechtsprechung behielten. Ein anderer Fall ist das Osmanische Reich, das gezwungen wurde, Ausländern «Kapitulationen» einzuräumen, also besondere Vorrechte und rechtliche Immunität.
    Die Modernisierung provozierte jedoch Widerstand von Seiten der Traditionalisten im eigenen Land und mitunter ein präventives Eingreifen der westlichen Mächte. Als sich chinesische Beamte in den 1860er Jahren nach einem zweiten Krieg, nunmehr gegen

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