Geschichte des Gens
der Evolution hervorgegangen. Gene tragen aber ebenso sicher zur Evolution bei.
Einen systematischen Versuch zum Verständnis des Gens mit dem Rückgriff auf die Evolution hat vor kurzem der Historiker Peter J. Beurton mit dem erklärten Ziel unternommen, rein biochemische Festlegungen dieser Grundgröße des Lebens zu überwinden, um so zu einem einheitlichen Konzept zu gelangen. Beurton schlägt vor, ein Gen dadurch zu verstehen, dass man es als die Grundlage des kleinstmöglichen Unterschieds für die Anpassung von Organismen ansieht, mit dem die natürliche Selektion etwas anfangen kann. Dem Historiker geht es dabei ganz konkret um DNA-Abschnitte, deren Reproduktion einheitlich durch Adaptationen beeinflusst wird, und zwar so, dass dies in der natürlichen Selektion eine Rolle spielt. Die anvisierten DNA-Sequenzen müssen nicht an einem Platz zusammenhängen und können ohne festen Ort sein (nonlocalized DNA variations), sie müssen sich nur als Einheit für die Evolution bemerkbar machen.
Die eben vorgestellten -und keineswegs endgültigen - Überlegungen versuchen sowohl die evolutionäre (langsame) als auch die zelluläre (rasche) Beweglichkeit der DNA-Moleküle beziehungsweise der damit verbundenen Gene zu erfassen. Beide hängen sicher zusammen, wie sich unter anderem an der Tatsache ablesen lässt, dass sich besonders viele Mutationen von Genen an den Exon-Intron-Schnittstellen finden lassen. Dieser Trick gibt einer Zelle auf jeden Fall die Chance, neue Formen von Proteinen generieren zu können, ohne die alten Funktionen aufgeben zu müssen.
In der Literatur sind inzwischen eine Vielzahl von frei beweglichen DNA-Stücken bekannt, die als springende Gene geführt werden. Hingewiesen auf solche sich im Genom tummelnden Elemente hatte Barbara McCIintock bereits in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts, als sie Kontrollelemente untersuchte, mit deren Hilfe Maispflanzen die Expression einiger ihrer Gene verhinderten. Diese Kontrollgene schienen keinen festen Platz auf den Chromosomen der Pflanze einzunehmen und vielmehr im Genom umherspringen zu können. McCIintock ist es übrigens auf ungewöhnlichem Wege gelungen, diese Beweglichkeit zu erkunden. Sie hat sich nicht mit biochemischen Methoden befasst, sondern sich auf ihre Beobachtung der Genaktivitäten verlassen, bei denen eine Zelle gewinnen konnte, was eine andere verloren hatte, wie die Genetikerin bemerkte.
Ihre Einsichten fanden zunächst wenig Beachtung in einer eher männlich dominierten Wissenschaft, und es dauerte bis in die Jahre nach dem Aufkommen der Gentechnik, bis durch Analyse von konkreten DNA-Abschnitten nachgewiesen wurde, dass Gene in ihrem Genom einen Ortswechsel vollziehen und springen können. Für die beweglichen Elemente benötigte man eine Menge neuer Namen. Das ganze Stück wurde Insertionssequenz getauft, zu der ein so genanntes Transposon gehört, das von kurzen, gegenläufig wiederholten Basenfolgen flankiert wird, die allgemein mit den Buchstaben IR für inverted repeats abgekürzt werden. Bald stellte sich heraus, dass die Transposons nicht unbedingt nur springen, sondern oft auch verdoppelt und an anderer Stelle wieder eingebaut werden. Sie geben also ihren alten Platz nicht auf, sondern behalten ihn bei und nehmen zusätzlich einen neuen ein. Damit wurde eine Eigenschaft von genetischen Sequenzen entdeckt, die offenbar wesentlich zu der Ausgestaltung heutiger Genome beigetragen hat, nämlich die leichte Duplizierbarkeit. Immer wieder trifft man auf Genverdopplungen, was im Übrigen einer Zelle offenbar die Möglichkeit gibt, eine Kopie nicht aktiv zu verwenden und nur als Reserve zu halten und mit in die nächste Generation zu nehmen. Für solche DNA-Abschnitte hat sich inzwischen der Ausdruck Pseudogene eingebürgert, und sie finden sich in allen Formen des Lebens.
Dies gilt erst recht für die beweglichen Genelemente, für die sich auch die Bezeichnung der transponierbaren DNA eingebürgert hat. Sie gelten als Hauptmerkmal jedes Genoms, kommen in unterschiedlichen Formen und meist in zahlreichen Kopien vor.
Mit all diesen Entdeckungen verschwindet ein Grundgedanke aus der Genetik und ihrer Ansicht von den Genen, der am Anfang der Wissenschaft gestanden hat und den man mit dem Ausdruck »Stabilität« bezeichnen kann. Das so überzeugende Modell der Doppelhelix führt jedem Betrachter diesen Gedanken unmittelbar vor Augen. Es suggeriert eine Festigkeit, die als Ausgangsbasis der Dynamik des Lebens dient, ohne
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