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Geschichte des Gens

Geschichte des Gens

Titel: Geschichte des Gens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Peter Fischer
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eine vererbbare Eigenschaft verloren geht, sagt man, sie sei »ausgemendelt« worden. Im angelsächsischen Raum heißen die Erbkrankheiten Mendelian diseases, und so scheinen sich alle einig: Mendel hat die wissenschaftliche Erkundung der Vererbung begründet und erste Regeln für sie aufgestellt. Doch stimmt das?
    Richtig ist, dass Mendel um 1865 in einem Klostergarten in Brunn mit Erbsen gearbeitet und verschiedene Kreuzungen an ihnen vorgenommen hat. Nicht richtig ist, dass er mit diesen »Versuchen über Pflanzen-Hybriden« Gesetze der Vererbung aufstellen will. Das Wort »vererben« kommt bei ihm nur am Rande vor, und zwar negativ: Das »Verschwinden der grünen Färbung vererbt sich nicht auf die Nachkommen«, so stellte Mendel nach einem Blick auf die Erbsen fest, mit denen er experimentiert hatte.
    Trotzdem - die Regeln der Vererbung sind nach Mendel benannt, und sie lassen sich auch mit den Merkmalen nachvollziehen, die er untersucht hat - zum Beispiel Form und Farbe der Samen. Mendel kreuzte Erbsen mit gelben und grünen respektive runden und runzligen Samen und verfolgte diese Merkmale über mehrere Generationen. Dabei entdeckte er zum Einen, dass sich alle Mischungen einstellen können - es gibt runde gelbe, runde grüne, runzlige gelbe und runzlige grüne Samen. Er entdeckt zum Zweiten, dass sich Eigenschaften, die einmal zusammen gekommen sind, auch wieder trennen können. Und während er die Ergebnisse der Kreuzungen zählt, bemerkt er, dass die Farben und Formen nicht gleichberechtigt sind. Einer dominanten Qualität steht eine rezessive gegenüber: Gelb zeigt sich häufiger als grün, und rund setzt sich eher durch als runzlig. Die genetischen Gesetze sind damit gefunden.
    So steht es in den Lehrbüchern. Doch die Frage, was Mendel mit seinen Versuchen eigentlich im Sinn hatte, bleibt bis heute unklar. Auf einfache Weise beantwortet sie ein Artikel, der am 9. Februar 1865 im Brünner Tagblatt erscheint und von der Versammlung des Naturforschenden Vereins am Tag zuvor berichtet. Mendel hat bei dieser Gelegenheit einen Vortrag gehalten, und in der Zeitung steht, was er besonders betonte, nämlich seine Beobachtung, dass die durch künstliche Befruchtung hervorgebrachten »Pflanzenhybriden stets geneigt waren, zur Stammart zurückzukehren.« Mit anderen Worten, Mendel meint, dass Pflanzen sich bei allen Variationen selber treu bleiben und nicht entwickeln.
    Mendels Arbeit ist leider unverständlich, und der Verdacht bleibt, dass er die Möglichkeit der Evolution anzweifeln wollte. Doch selbst wenn Mendel diese Absicht gehabt hätte - alle Biologen, die sich heute auf ihn berufen (ohne ihn im Original gelesen zu haben), verstehen ihn anders. Sie bewundern an seinen Experimenten, dass sie die im Inneren der Pflanzen verborgenen Mechanismen zugänglich machen, die zur Weitergabe von Merkmalen -also zu ihrer Vererbungführen.
    Der Grund, der uns dazu bringt, Mendel als Vater der Genetik zu feiern, steckt vermutlich darin, dass der Augustinermönch keine Ausbildung in Biologie, sondern in Physik erhalten hat. Der Abt des Klosters, in das Mendel 1843 als Novize eingetreten war, hatte ihn dazu ausersehen, Physiklehrer zu werden, und so schickte man ihn auf die Universität nach Wien. Hier lernt er zum Einen die Vorstellung vom atomaren Aufbau der (toten) Materie kennen, und er lernt zum Zweiten, wissenschaftlich zu experimentieren, was heißt, bei Versuchen darauf zu achten, nicht mehrere Parameter auf einmal zu ändern. Offenbar hat Mendel unter Prüfungsangst gelitten, denn er fällt in der Lehrerprüfung gleich zweimal durch. Das Kloster gibt ihm daraufhin die Möglichkeit, seiner zweiten Leidenschaft neben der Wissenschaft zu frönen, der Gärtnerei. Und hier im Klostergarten fängt Mendel an, über Jahre hinweg von durchreisenden Händlern Pflanzensorten zu erwerben, bis er die reinen Sorten zusammen hat, die sich in genau einer Eigenschaft unterscheiden, wie es ihm als Physiker vorschwebte. Sie beginnt er zu kreuzen.
    Was nun bei Mendels langjährigen botanischen Versuchen herausgekommen ist, lässt sich ganz einfach ausdrücken, wenn nicht von den Gesetzen der Vererbung geredet werden muss, die zwar ihren würdigen Auftritt im Biologieunterricht haben, die aber bei Mendel selbst nicht zu finden sind. Seine bedeutende Leistung besteht vor allem darin, den physikalischen Gedanken vom atomaren Aufbau der Materie in das Leben übertragen und die Hypothese aufgestellt zu haben, dass es im Inneren der

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