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Geschichte des Gens

Geschichte des Gens

Titel: Geschichte des Gens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Peter Fischer
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dass die strukturelle Organisation dieses Genkomplexes evolutionär gesehen sehr stabil ist (Abbildung 16). Von der Fliege bis zum Menschen ist die Position eines Gens innerhalb dieses Genverbundes fixiert. In Fachkreisen werden die Gene mit dem Ausdruck »homeotisch« bedacht und das in ihnen auffindbare Strukturmerkmal als Homeo-Box bezeichnet.

    Abb.16: Homeo-Gene bei Fliege, Maus und Mensch
      
    Es ist in dem dazugehörigen Protein als Homeodomäne nachzuweisen (Abbildung 17). Der Ausdruck ist im Anschluss an einen Vorschlag des gebildeten Namengebers der Genetik, William Bateson, entstanden, der viele Jahrzehnte vor dem Aufkommen der Molekularbiologie bei Insekten und Krebstieren spontane Umwandlungen beobachtet hat, bei denen Hinterbeine zu Flügeln, Augen zu Antennen und Antennen zu Beinen wurden. Bateson sprach von der »Veränderung einer Struktur zur Ähnlichkeit mit einer anderen Struktur« und schlug dafür als Fachausdruck das griechische homeosis vor, das auf die Ähnlichkeit hinweist. Als dann bei den Fruchtfliegen Exemplare auftauchten, bei denen aus dem Kopf keine Antennen, sondern Beine herausragten, führte man diese Variation auf besonders raffiniert agierende Gene zurück, die den Beinamen homeotisch bekamen. Einige von ihnen konnten bald lokalisiert, isoliert und analysiert werden, und das Ergebnis zeigte eine Exon-Intron-Struktur mit einer charakteristischen Beigabe, der Homeo-Box.
    Das Wunderbare an der Organisation homeotischer Gene besteht darin, dass der Ort des Gens mit der Menge und der Zeit korreliert ist, mit und zu der das Genprodukt im Laufe der Embryonalentwicklung seinen Dienst tun muss. Die hier versammelten Gene funktionieren nicht einzeln, sondern nur als größere Einheit, wie sie bereits als Operon in den Bakterien gefunden worden ist. Und dies erlaubt die Frage, ob es also gar nicht auf ein Gen, sondern nur auf seine Integration in eine größere Einheit ankommt.

    Abb. 17: Die Homeo-Box am Beispiel des Antennapedia-Gens, das, wie der Name ausdrückt, mit dem Wechsel von den Antennen zu den Beinen zu tun hat
      
    Wahrscheinlich trifft beides zu, und vor allem muss verstanden werden, wie Gene die Doppelrolle ausfüllen, auf die mehrfach hingewiesen worden ist. Gene machen immer dasselbe (nämlich erst Proteine und mit ihrer Hilfe Organismen), und sie machen es immer anders (nämlich individuell verschieden). Gene treten allein in Erscheinung, und sie fügen sich in eine Organisation ein.
    Die Menge an Informationen, die im Rahmen der modernen Genetik geliefert werden, übersteigt schon lange das Fassungsvermögen eines einzelnen Menschen. In der Tat: »Heute kennt kein Molekularbiologe mehr alle wichtigen Fakten über das Gen.« So heißt der erste Satz des Vorwortes, das James Watson, der Mitentdecker der Doppelhelix, für die vierte Auflage seines Lehrbuchs Molecular Biology of the Gene geschrieben hat, die bereits 1987 erschienen ist. Watson hat das von ihm charakterisierte Dilemma gelöst, indem er sich der Mithilfe einer ausreichenden Zahl von Koautoren bedient hat. Die Frage an dieser Stelle lautet für uns, ob wir in der Überfülle der Entdeckungen einen Grundzug des Gens ausmachen können, der unabhängig von den von der jeweils aktuellen Forschung immer neu ermittelten Tatbeständen gültig bleibt und Auskunft über das Leben gibt, das man verstehen will.
    Unbedingt nötig ist in diesem Fall der Hinweis, dass »Gen« auf keinen Fall ein höchst präzise definierter Begriff ist, sondern dass unser Zauberwort seine wissenschaftliche Karriere eher dem Umstand verdankt, unscharf zu bleiben und vielfältig eingesetzt werden zu können. Viele Wissenschaften wollen und sollen Zugriff auf das Gen haben, das dabei nur als flexibles Konzept überleben kann. Wenn Molekularbiologen von Genen reden, meinen sie etwas anderes, als wenn Evolutionsforscher den Ausdruck benutzen. Im ersten Fall sind vornehmlich DNA-Stücke und deren Zusammensetzung gemeint, und im zweiten Fall hat man vor allem Zellstrukturen im Visier, die lange genug verbunden bleiben, um als Basis des großen Mechanismus zu dienen, der das Leben hervorgebracht hat und weiter entwickelt.

VERTIEFUNGEN
GREGOR MENDEL
    Gregor Mendel (1822-1884) gehört zu den seltenen Exemplaren der Menschheit, deren Namen in Tätigkeitswörter umgewandelt worden sind. Tatsächlich definiert der Duden: »Mendeln« heißt, »nach den Vererbungsregeln Mendels in Erscheinung treten«, und wenn bei der Weitergabe durch die Generationen

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