Geschichte des Kapitalismus
Entwicklung belegt, was sich schon an der Plantagenwirtschaft, am Bergbau und der Landwirtschaft zeigte: Der Kapitalismus hat auch die Welt der Produktion lange vor der Industriellen Revolution tiefgreifend verändert. Unter kapitalismushistorischer Perspektive beeindruckt die Langfristigkeit des beobachtbaren Wandels, seine longue durée.[ 52 ]
5. Kapitalismus, Kultur und Aufklärung.
Adam Smith im Kontext
Ansätze
zur kapitalistischen Durchdringung von Handel, Finanzwesen, Landwirtschaft und Gewerbe gab es in allen Ländern Europas: Aber nur in den Niederlanden â den zunächst um die Selbständigkeit von spanischer Herrschaft kämpfendenProvinzen und der seit 1579/1648 im nördlichen Teil eigenständigen Republik â und in England â seit 1688/89 parlamentarische Monarchie und seit der Einbeziehung Schottlands 1707 Vereinigtes Königreich oder GroÃbritannien â verdichteten sich diese Entwicklungen in einer Weise, dass der Kapitalismus zum dominanten Steuerungsprinzip wurde. In Bezug auf die Niederlande und England kann man bereits für das 17. und 18. Jahrhundert von einer voll entwickelten, sozial und kulturell ausstrahlungskräftigen kapitalistischen Wirtschaftsweise sprechen, wenngleich mit wichtigen Unterschieden.[ 53 ] Die Niederlande entwickelten sie früher und waren im 17. Jahrhundert
das
Modell für alle Modernisierer Europas, wurden aber im 18. Jahrhundert vom Vereinigten Königreich überholt, das dazu auch seine überlegene Militärmacht einsetzte, jedoch auÃerdem das zukunftsfähigere Grundmuster entwickelte: Während die Niederländer auf ihre besonderen Stärken im handels- und finanzkapitalistischen Bereich wie auf den Export und auf internationale Finanzierungsgeschäfte fixiert blieben, trieben die Engländer den Kapitalismus zusätzlich im Gewerbe voran und stützten ihr Wachstum stärker als die Niederländer auch auf inländische Nachfrage. Agrarkapitalismus entwickelten beide, wenngleich mit unterschiedlicher Struktur. Der Vorsprung der beiden Länder gegenüber dem groÃen Rest des Kontinents zeigte sich auch an ihrer fortgeschrittenen Urbanisierung.[ 54 ] Unter den Faktoren, die diesen nordwesteuropäischen Vorsprung erklären, sind drei am wichtigsten und überdies miteinander sowie mit der geographischen Rand- bzw. Insellage beider Länder verknüpft: das groÃe Gewicht des Fernhandels schon seit dem Mittelalter (besonders im Fall der Niederlande), die traditionelle Schwäche des Feudalismus (in England mit der Herrschaftsgeschichte seit der Eroberung 1066, in den Niederlanden mit ihrer dynastischen zusammenhängend) und die unbestreitbare Führungsrolle, die beide Länder bei der Kolonialisierung der Welt durch europäische Akteure seit dem 16. Jahrhundert gespielt haben.
Doch zur Erklärung des kapitalismushistorischen Vorsprungs Nordwest-Europas muss auch auf soziale und kulturelle Eigenartenhingewiesen werden. Einige Andeutungen mit Bezug auf England müssen genügen. Zum einen lässt sich alltagsgeschichtlich im 16. und 17. Jahrhundert ein förderliches Wechselverhältnis zwischen Geschäft und Geselligkeit nicht übersehen. Es zeigte sich z.B. in den überbauten Arkaden des Gebäudes der Königlichen Warenbörse in London, in denen Kolonialwaren wie kommerzielle Literatur und Reklameschriften auslagen, Versicherungen und Notare ihre Dienste anboten, Redaktionen vertreten waren und Kaffeehäuser â 400 bis 500 soll es in London um 1700 gegeben haben â zur Information, zum Verzehr und zur Unterhaltung einluden. Geld borgen und Kredit geben war im Alltag weit verbreitet, über soziale Grenzen hinweg, und hing mit der Ausweitung des Konsums auch in breiten Bevölkerungsschichten zusammen â man hat von einer «consumer revolution» schon im 18. Jahrhundert gesprochen. Vereine und Clubs schossen seit dem späten 17. Jahrhundert wie Pilze aus dem Boden, zu geselligen Zwecken, zur Vorbereitung von Arbeitskämpfen, zur gegenseitigen Versicherung, zu Diskussion und Spiel. Sieht man genauer hin, begreift man, dass Marktbeziehungen zwar viel mit Konkurrenz und individueller Vorteilnahme zu tun haben, aber auch in der Lage sind, Vertrauen hervorzubringen und Vergesellschaftung zu fördern.
Zum anderen ist auf die Zunahme der Lesefähigkeit vor allem in der städtischen Bevölkerung und auf die zunehmende
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