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Geschichte des Kapitalismus

Geschichte des Kapitalismus

Titel: Geschichte des Kapitalismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Lohnarbeit im Wandel
    Seit Marx, Weber und vielen anderen gilt «freie» Lohnarbeit als die zentrale Form der Arbeit im Kapitalismus. Doch die Debatte darüber, ob dies zu halten ist und wie dies zu verstehen sei, ist wieder in vollem Gang. Durch die globalgeschichtliche Erweiterung des Blicks ist deutlich geworden, dass die europäisch-nordamerikanische Variante industriekapitalistischer Arbeit, die der Ausbildung des klassischen Lohnarbeitsbegriffs in der zweiten Hälfte des 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Erfahrungshintergrund diente, eine sehr spezifische war, die in anderen Weltregionen und in anderen Epochen nicht notwendig wiederholt wird. Daraus ergibt sich der produktive Zwang, den Lohnarbeitsbegriff und den mit ihm eng zusammenhängenden Klassenbegriff kritisch zu bedenken und neu zu definieren.[ 85 ] Ich halte im Folgenden an der Vorstellung von Lohnarbeit als der für den Kapitalismus zentralen Form von Arbeit aus drei Gründen fest. Zum einen stellen der Trend zur grenzenlosen Kommodifizierung einen Kernbestandteil des kapitalistischen Systems und Lohnarbeit die konsequenteste Anwendung des Prinzips auf menschliche Arbeit dar. Zum anderen: nimmt man die gesellschaftlichen und politischen Folgen – Klassenbildung, soziale Bewegungen, politische Kämpfe – in den Blick, sind Unterschiede zwischen «freier Lohnarbeit» und gebundenen Formen der Arbeit (Sklavenarbeit, Leibeigenschaft, Schuldknechtschaft,
indentured labor,
Zwangsarbeit) ebenso wie der Unterschied zwischen unselbständiger Arbeit (in einem Beschäftigungsverhältnis) und Selbständigkeit äußerst wichtig, auch wenn es immer zahlreiche Mischungs- und Übergangsphänomene zwischen diesen Kategorien gegeben hat und gibt. Schließlich erweist sich, dass der Begriff «Lohnarbeit», richtigverwendet, auch für die Analyse des Kapitalismus in nicht-westlichen Weltregionen taugt.
    Doch ist es notwendig, den Begriff «Lohnarbeit» breit zu fassen: als Arbeit im Rahmen eines Tauschverhältnisses, in dem (unterschiedlich qualifizierte) Arbeitskraft vom Arbeiter bzw. von der Arbeiterin der beschäftigenden Person oder Instanz unter festzulegenden Bedingungen (auch: innerhalb zu definierender Grenzen!) gegen die Zahlung von Lohn (oder Gehalt) zur Verfügung gestellt wird, und zwar für einen Zeitraum, über dessen Beginn sich beide Seiten verständigen und dessen Ende von jeder der beiden Seiten herbeigeführt werden kann (Kündigungsrecht). Zum Begriff des Tausches gehört ein Element des Vertrags (ob schriftlich oder nicht), der formal freiwillig abgeschlossen wird, so zwingend auch der Eintritt in ein solches Tauschverhältnis für den Arbeiter/die Arbeiterin aus schieren Überlebensnotwendigkeiten oftmals gewesen ist, und so wenig Freiheit für ihn oder sie übrig blieb, nachdem einmal das Arbeitsverhältnis mit all seiner Fremdbestimmung und Disziplin begonnen hatte. Lohnarbeit in diesem Sinn ist nicht an die Existenz einer Unternehmung gebunden, die von Weber so entschieden in den Mittelpunkt der Definition von modernem Kapitalismus gerückt worden ist. Auf der Grundlage dieser Definition ist es möglich, zwischen sehr unterschiedlichen Varianten von Lohnarbeit zu unterscheiden und anzuerkennen, dass es
Elemente von Lohnarbeit
auch in anderen Beschäftigungsverhältnissen gab und gibt.
    In einem elementaren Sinn und in begrenztem Umfang findet sich Lohnarbeit auch vor dem Kapitalismus. Auch wenn der größte Teil der abhängigen Arbeit in gebundenen Verhältnissen geleistet wurde – als Sklavenarbeit oder (so im mittelalterlich-frühneuzeitlichen Europa) von untertänigen Bauern, von Knechten und Mägden im Gesindestatus und von Handwerksgesellen in Abhängigkeit von Meister und Zunft –, gab es doch über die Jahrhunderte zahlreiche besitzlose oder besitzarme Personen, Männer, Frauen und Kinder, die meist für kürzere Zeit und in wechselnden Stellungen, oft auch an verschiedenen Orten, bei Herrschaften und Bauern, für Handwerker und Kaufleute, inGemeinden und Klöstern, auf Baustellen oder in Werkstätten gegen Entgelt Arbeitsleistungen erbrachten: als unterschiedlich bezeichnete landwirtschaftliche Arbeiter, als Tagelöhner, Gelegenheitsarbeiter, Saison- oder Wanderarbeiter, als Hilfskräfte der verschiedensten Art. Davon ließ sich kaum leben, doch ergänzten die so erzielten

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