Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
Könige. Der eingeschüchterte Monarch dankte zugunsten seines Sohnes ab, machte seinen Verzicht aber kurz darauf wieder rückgängig. Napoleon nutzte die Wirren, um im Mai 1808 Vater und Sohn in Bayonne zu Verzichtserklärungen zu nötigen. Zum neuen König von Spanien bestimmte er seinen Bruder Joseph, den bisherigen König von Neapel.
Der Sturz der spanischen Bourbonen löste einen Volksaufstand zuerst in Madrid, dann in den Provinzen aus. Vom asturischen Oviedo aus steuerte eine am 9. Mai gebildete Junta General das, was als «guerilla», als kleiner Krieg, in die Geschichte einging. Die Erhebung breitete sich rasch über ganz Spanien aus; die katholische Kirche rief die Gläubigen zum Kampf gegen den Antichrist aus Paris und seine spanischen Gefolgsleute, die «afrancesados» oder «Französlinge», auf; die Grausamkeit, mit der die bewaffneten Aufständischen und die Eindringlinge einander bekämpften, übertraf alles, was man aus regulären Kriegen gewohnt war. Goya hat die Schrecken des Guerillakrieges ebenso wie später die der bourbonischen Reaktion, die mit der Rückkehr des ehemaligen Kronprinzen und jetzigen Königs, Ferdinand VII., im März 1814 begann, in Bildern von erschütterndem Realismus festgehalten.
Madrid wurde von den Franzosen unter Napoleons Führung Anfang Dezember 1808 zurückerobert. Die von König Joseph eingesetzte Regierung konnte ihren Einfluß aber nie über ganz Spanien ausdehnen, sondern nur in den Gebieten geltend machen, die von der französischen Armee kontrolliert wurden. Sie stützte sich auf die oktroyierte, zum Teil von Napoleon selbst entworfene «Verfassung von Bayonne», die Spanien nominell zu einer konstitutionellen Monarchie machte. Einige Reformen wie die Gründung von Gymnasien, die Verstaatlichung der Güter von religiösen und militärischen Orden und die Abschaffung der Majorate (wonach jeweils der älteste Sohn den landwirtschaftlichen Besitz des Vaters erbte) verschaffte dem neuen System die Sympathien einer kleinen Minderheit, der besagten «afrancesados». Die große Mehrheit der Spanier aber sah im Regime des Joseph Bonaparte das, was es war: eine Fremdherrschaft, der jedwede Legitimität abging.
Bis 1812 behielten die Franzosen militärisch die Oberhand; danach wendete sich das Blatt. Zu dieser Entwicklung trug entscheidend das britische Heer unter General Arthur Wellesley, dem späteren Herzog von Wellington, bei, das an der Seite der Aufständischen gegen die französischen Truppen des Kaisers kämpfte und im Februar 1809 bei Talavera seinen ersten großen Sieg errang. 1811 gelang den Briten die Befreiung Portugals, wobei sie auch dort mit einer breiten Volksbewegung im Bunde standen. Die spanische Junta General hatte sich mittlerweile, nachdem auch Sevilla, ihr zeitweiliger Regierungssitz, von den Franzosen erobert worden war, im Januar 1810 aufgelöst. Als ihr Nachfolger wurde in Cádiz an der Atlantikküste, wo man des Schutzes der britischen Flotte sicher sein konnte, ein Regentschaftsrat gebildet. Dieser erließ im Juni 1810 ein Dekret zur Einberufung der «Cortes», womit der alte Name der Ständevertretung wieder zu Ehren kam. Die Mitglieder wurden in den unbesetzten Gebieten Spaniens gewählt; für die besetzten und die Überseegebiete wurden Stellvertreter bestimmt.
Die Verfassung, die die Cortes am 19. März 1812 verabschiedeten, war die einer konstitutionellen Monarchie. Die Souveränität wohnte laut Artikel 3 «ihrem Wesen nach im Volk»; das Volk hatte folglich die verfassunggebende Gewalt. Dem König stand die Exekutivgewalt zu; gegen Beschlüsse der Cortes konnte er ähnlich wie in der französischen Verfassung von 1791 ein suspensives Veto einlegen. Die Cortes gingen aus einem indirekten Wahlverfahren hervor, wobei für die Urwahl auf Kirchspielebene der Grundsatz des allgemeinen gleichen Wahlrechts galt. Zu allen Wahlversammlungen, von der Ebene des Kirchspiels (juntas electorales de parroquia) bis hinauf zu denen der Bezirke (juntas electorales de partido) und Provinzen (juntas electorales de pronvincia), gehörten eine Heiliggeistmesse und ein feierliches Tedeum. Die katholische Religion war Staatsreligion; die Ausübung anderer Religionen war untersagt. Die Verfassung enthielt keinen ausgefeilten Grundrechtsteil; das Volk war laut Artikel 4 lediglich verpflichtet, «die bürgerliche Freiheit, das Eigentum und die anderen gesetzmäßigen Rechte aller Individuen, aus welchen es besteht, mittels weiser und gerechter Gesetze zu
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