Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
Befehl Napoleons in Mantua erschossen. Tirol wurde geteilt. Der größte Teil blieb bei Bayern, andere Teile fielen an Illyrien und das Königreich Italien.
Österreich war zwar geschlagen, aber es besaß etwas, das Napoleon trotz aller militärischen Erfolge fehlte: Legitimität, die auf alter Tradition beruhte. An ebendieser Legitimität teilzuhaben war der Ehrgeiz des Kaisers. Im Jahre 1809 reifte sein Plan, sich von Joséphine Beauharnais, die ihm keine Kinder geboren hatte, scheiden zu lassen und eine Frau aus einer der großen europäischen Dynastien zu heiraten. Die Scheidung von Joséphine erfolgte im Dezember 1809. Die Brautsuche begann in St. Petersburg, wo sie keinen Erfolg hatte. Wenig später wandte sich die Aufmerksamkeit Napoleons der achtzehnjährigen österreichischen Kaisertochter Marie Luise zu, und dieser Plan führte ans Ziel. Die Habsburger hatten in der Vergangenheit mit einer klugen Heiratspolitik gute Erfahrungen gemacht, und Franz I. setzte darauf, daß eine Ehe seiner Tochter mit Napoleon sich für Österreich auszahlen würde. Am 1. April 1810 fand die zivilrechtliche, tags darauf die kirchliche Trauung statt. Am 20. März 1811 erfüllte Marie Luise den Zweck der Eheschließung. Sie gebar Napoleon einen Sohn, der den Namen François Charles Joseph und den Titel eines «Königs von Rom» erhielt.
Den Titel konnte Napoleon nur vergeben, weil er im Mai 1809 den Kirchenstaat annektiert hatte: ein Gewaltakt, den Papst Pius VII. mit der Exkommunikation des Kaisers beantwortete, woraufhin dieser den Papst gefangennehmen und nach Savona an der ligurischen Küste bringen ließ. Vorausgegangen waren im Jahr zuvor die Übertragung des Königreichs Neapel an seinen Schwager Murat und die Einverleibung der Toskana, von Parma und Piacenza, in das Kaiserreich Frankreich. Das Jahr 1810 sah weitere französische Annexionen, die allesamt von dem Wunsch diktiert waren, die Kontinentalsperre undurchdringlich zu machen. Im Juli zwang Napoleon seinen Bruder Louis, auf die Würde eines Königs von Holland zu verzichten, und gliederte die Niederlande Frankreich an. Im Dezember folgte die Annexion eines großen Teiles von Norddeutschland mitsamt der Stadt Münster, dem Herzogtum Oldenburg und den Hansestädten Bremen, Hamburg und Lübeck, so daß Napoleon die deutsche Nordseeküste kontrollierte und einen direkten Zugang zur Ostsee hatte. Der Kaiser befand sich in den Jahren 1810 und 1811 auf dem Höhepunkt seiner Macht: Nie zuvor hatte Frankreich ein derart großes Gebiet umfaßt, und noch nie hatte ein so großer Teil von Europa unter der unmittelbaren oder mittelbaren Herrschaft eines Mannes gestanden.
Bedroht wurde die Macht Napoleons in Spanien, wo die Aufständischen und die Engländer den Truppen des Kaisers schwer zusetzten; im Sommer 1812 besiegten die Briten ein französisches Heer bei Salamanca und nahmen kurz darauf Madrid ein. Im Norden Europas hatte Napoleon im Oktober 1807 Dänemark als Bundesgenossen gewonnen: eine dänische Reaktion darauf, daß die Briten im September jenes Jahres Kopenhagen beschossen hatten, um das skandinavische Königreich zur Auslieferung seiner Flotte zu zwingen und eine Sperrung der Ostsee im Auftrag Napoleons zu verhindern. (Es war bereits das zweite Bombardement der dänischen Hauptstadt innerhalb weniger Jahre: Im April 1801 hatten die Engländer schon einmal Kopenhagen und die dänische Flotte beschossen, um den Sund für britische Schiffe offenzuhalten.) Eine ganz andere Politik verfolgte Schweden: Unter dem Einfluß von Jean Baptiste Bernadotte, einem französischen Marschall, der auf einem Wahlreichstag im August 1810 zum Kronprinzen und damit zum Nachfolger von König Karl XIII. (1809–1818) gewählt worden war, näherte sich das Land entgegen allen Erwartungen Napoleons Rußland und England an.
Diese Entwicklung konnte dem Grand Empire um so weniger gleichgültiger sein, als sich die Beziehungen zwischen Frankreich und Rußland zusehends verschlechterten. Zar Alexander war verbittert über die Teilung Galiziens im Frieden von Schönbrunn, bei der Rußland lediglich ein kleines Gebiet um Tarnopol erhalten hatte, während ein sehr viel größeres Territorium dem Herzogtum Warschau zugefallen war, so daß der Verdacht nahelag, Napoleon betreibe längerfristig die Wiederherstellung Polens. Außerdem empörte es den Zaren, daß Napoleon das Herzogtum Oldenburg annektiert hatte, dessen Landesherr sein Schwager war.
Dazu kamen, und das wog am schwersten, die
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