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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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ausschließen wollten, also «Kleindeutsche» im Sinne der Revolution von 1848/49 waren. Nur bei Jahn klang diese Konsequenz an, als er Österreich eine besondere Mission im Südosten Europas zuwies. Arndt hingegen forderte in seinem Lied «Was ist des Deutschen Vaterland?» ein Deutschland «soweit die deutsche Zunge klingt» und an anderer Stelle ein Deutschland «von der Nordsee bis zu den Karpaten, von der Ostsee bis hin zu den Alpen und der Weichsel». Ein solches Deutschland hätte das Reich der Habsburger auseinander gesprengt und die europäische Landkarte nicht minder dramatisch verändert, als es Napoleon getan hatte.
    Die Parolen von Fichte, Jahn und Arndt fanden Gehör bei einem gebildeten, überwiegend bürgerlichen und jungen, häufig noch studierenden Publikum. Es war zumeist evangelisch und in Norddeutschland sehr viel zahlreicher als im katholischen oder gemischtkonfessionellen Westen und Süden, wo Napoleon sich im Zweifelsfall größerer Sympathien erfreute als Preußen. Auf Gefolgsleute in Österreich durften die preußisch gesinnten Nationalisten erst recht nicht rechnen. Insgesamt war es nur eine kleine Minderheit der Deutschen, die sich um 1810 von der Notwendigkeit überzeugen ließ, die deutsche Kulturnation zu einer Staatsnation fortzuentwickeln und einen deutschen Nationalstaat zu errichten.
    Aber selbst diese Minderheit hätten die frühen deutschen Nationalisten nicht hinter sich gebracht, wenn ihre Deutungen von Geschichte und Gegenwart bloße Erfindungen gewesen wären. Ihr Erfolg beruhte darauf, daß sie an vorhandene Traditionen anknüpften und diese umwandelten. Von den Humanisten um 1500 und manchen Dichtern des 18. Jahrhunderts, unter ihnen Klopstock, Übernahmen sie die rühmende Erinnerung an den Freiheitskampf der Germanen gegen das verderbte Rom, von der protestantischen Literatur bis hin zur Aufklärung die Stilisierung Luthers zum geistigen Befreier Deutschlands von römischer Fremdherrschaft, vom literarischen Patriotismus des späten 18. Jahrhunderts den Kampf um die Reinhaltung der deutschen Sprache von fremden, namentlich französischen Einflüssen. Vor allem aber säkularisierten sie, was es an theologischen oder pseudotheologischen Rechtfertigungen einer deutschen Sendung gab, so konsequent, daß sie am Ende in der Lage waren, an die Stelle des spirituellen Universalismus des Alten Reiches den deutschen Anspruch auf die geistige Weltherrschaft und die Erlösung der Menschheit zu setzen. Aus dieser Umschmelzung entstand in den Jahren 1806 bis 1815 etwas Neues: der deutsche Nationalismus.[ 44 ]
    Großbritannien, die USA und die Kontinentalsperre
    Während das geschlagene Preußen sich durch Reformen erneuerte, führte England, seit dem 1. Januar 1801 offiziell das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Irland, weiter Krieg gegen Napoleon. Es war zu dieser Zeit kein freies Land. Schon 1794 hatte das Unterhaus die Habeas-Corpus-Akte außer Kraft gesetzt. In der Folgezeit wurden Journalisten, wenn sie in ihren Artikeln nach Meinung der Regierung Pitt den Interessen des Landes schadeten, von den Gerichten zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt; der berühmteste Fall war der des Herausgebers des Wochenblattes «Political Register», William Cobbett, der in seinem Blatt berichtet hatte, britische Milizsoldaten seien von deutschen Söldnern geschlagen worden.
    Reformen durchzusetzen war in den Jahren, in denen faktisch der Ausnahmezustand herrschte, schwer möglich. Im Jahre 1802 verabschiedete das Unterhaus zwar ein Fabrikgesetz, das die Kinderarbeit auf höchstens zwölf Stunden täglich beschränkte und Nachtarbeit von Kindern verbot. Doch da es keine Verwaltung gab, die die Einhaltung des Gesetzes überwachte, blieb es folgenlos. Die brutale Ausbeutung von Kindern, die schrecklichste Begleiterscheinung der Industriellen Revolution, ging ungehindert weiter.
    Ein anderes Reformgesetz hatte Folgen, und es verdient, historisch genannt zu werden: Im März 1807 verbot das Unterhaus den Sklavenhandel mit Wirkung vom 1. Januar 1808. Der Beschluß war ein Erfolg der Antisklavereibewegung, die von den Quäkern ausging und in Großbritannien seit 1788 von William Wilberforce, einem evangelikalen Theologen, konservativen Parlamentarier und engen Freund Pitts, geführt wurde. Die Abolitionisten waren die erste außerparlamentarische Bewegung, der es gelang, durch beharrliche Kampagnen die öffentliche Meinung und schließlich auch das Parlament von ihrem Ziel zu

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