Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
Volkes zu gründen.
Der Wandel der Begriffe ging einher mit der Neubildung von Begriffen, vor allem solcher, die auf «ismus» beziehungsweise «ism» oder «isme» endeten. «Nationalism» etwa tauchte erstmals 1774 bei Johann Gottfried Herder, und zwar in kritischer Absicht, auf: «... man nennt’s Vorurteil! Pöbelei! eingeschränkten Nationalism»; wenige Jahre später, 1798, finden wir «nationalisme» bei dem Abbé Barruel, hier als Zitat des Gründers des Illuminatenordens, Adam Weishaupt. «Liberal» und «Liberalität» meinten im späten 18. Jahrhundert soviel wie freiheitsliebend, freimütig, freisinnig; Napoleon sprach 1799, am Tag nach dem 18. Brumaire, zur Kennzeichnung seiner Politik von «idées libérales»; als Gruppenbezeichnung ist «liberal» aber, wie schon erwähnt, erst im Zusammenhang mit den Kämpfen um die spanische Cortes-Verfassung von 1812 anzutreffen. Metternich forderte 1819, dem «Ultraliberalismus» Schranken zu setzen; Anfang 1820, nach der Ermordung des royalistischen Herzogs von Berry, eines Neffen von Ludwig XVIII., durch einen Anhänger Napoleons, stellte er in einem Brief an Friedrich von Gentz fest: «Der Liberalismus geht seine Wege, es regnet Mörder.» In den 1820er Jahren wurde «Liberalismus» überall in Europa zu einem Schlagwort.
Um dieselbe Zeit wie der Begriff «liberal» begann sich der Begriff «konservativ» zu politisieren. Germaine de Staël, die Tochter Neckers, Freundin Constants und bald auch leidenschaftliche Gegnerin Napoleons, forderte 1798 einen «Corps conservateur», um die Revolution zu beenden und das zu bewahren, was sie an Bewahrenswertem gebracht habe. Napoleon Bonaparte sprach in der gleichen Rede vom 10. November 1799, in der er sich zu den «Idées libérales» bekannte, von der Notwendigkeit von «idées conservatrices»; die Verfassung von 1799 schuf den Sénat conservateur, der die Mitglieder der Kammern auszuwählen hatte. Als politischer Richtungsname setzte sich «konservativ» erst nach 1815 durch. 1818 gründete François René Viscomte de Chateaubriand, der berühmte Autor des 1802 erschienenen «Génie du Christianisme», als Organ der Royalisten die Zeitschrift «Le Conservateur», die nur zwei Jahre lang bestand. Seit 1830 begannen sich die britischen Tories «Konservative» zu nennen. Bald darauf bürgerte sich der Begriff in Deutschland ein. Um 1840 tauchten hier gelegentlich auch die Substantive «Konservatismus» oder «Konservativismus» auf.
Begriffsveränderungen vollzogen sich auch auf der anderen Seite des politischen Spektrums. «Sozialistisch» meinte in der Gelehrtensprache des 18. Jahrhunderts Staatslehren wie die von Grotius und Pufendorf, die den Geselligkeitstrieb des Menschen betonten. Im Sinne des Strebens nach einer neuen, kooperativen Gesellschaftsordnung wurde der Begriff erstmals in den 1820er Jahren in England verwandt. Als «communistes» galten im Frankreich des Ancien régime die Verteidiger des ländlichen Gemeineigentums. Im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts verwandte Nicolas Edmé Restif de la Bretonne den Begriff «communisme» bereits, um sein Eintreten für eine künftige, kollektiv organisierte Gesellschaftsordnung zu kennzeichnen. Im modernen Sinn der «Vergesellschaftung allen Eigentums» (socialisation de toute propriété) und der «Gemeinsamkeit von Arbeit und Nutznießung» (communauté de travaux et de jouissances) begegnet uns der Begriff erstmals 1842 in einem Lexikonartikel von Théophile Thoré über den Babouvismus, also die «Verschwörung der Gleichen» um Babeuf im Jahre 1796. Damit begann die öffentliche Diskussion über den Kommunismus in Frankreich, und bald darauf griff sie auf ganz Europa über.[ 56 ]
Viele der Ideen, die die Zeit nach 1815 bewegten, stammten aus der Revolutionsepoche, und manche waren noch sehr viel älter: Sie kamen aus der Gegenaufklärung, die fast so alt war wie die Aufklärung selbst. Letzteres galt vor allem für die katholische Rechte. In den Jahren 1796 und 1797 erschienen zwei vielgelesene Kampfansagen an Aufklärung und Revolution: die «Théorie du pouvoir politique et religieux dans la société civile» von Ambroise de Bonald und die «Considérations sur la France» von Joseph de Maistre. Beide Autoren waren adlige Emigranten; beide sahen in der katholischen Kirche das stärkste Bollwerk gegen den Ungeist, aus dem die Revolution erwachsen war. Für den einen wie den anderen ergab sich daraus die Forderung nach einer theokratisch
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